Handbuch für Detektive - Roman
war wirklich; das und der Regen, der mit einem dumpfen Prasseln auf seinen Schirm fiel und seine Schuhe nässte. Langsam wurden seine Socken feucht. Seine Socken wurden immer feucht, selbst im Schlaf.
«Dort», sagte Lamech.
Unwin folgte seinem Blick zu einem massivem Bau, dessen breite Treppe zu einer Empore mit zahlreichen Fenstern hochführte. In den Fensterfluchten schien sich die ganze Parklandschaft in schier endlosen Korridoren zu spiegeln und zu zerlegen – es war ein Spiegelkabinett. Auch Lamech selbst spiegelte sich dutzendfach, sein Körper war verzerrt oder nur bruchstückhaft zu sehen: hier ein Arm, dort ein Bein, da drüben sein Bauch. Unwin wurde nicht gespiegelt, doch einen Moment lang erkannte er eine andere Gestalt, die sich langsam an den Spiegelwänden entlangbewegte: ein Hut, grauer Regenmantel, das Glühen einer Zigarrenspitze.
Lamech lief rasch darauf zu, wobei er ein wenig ins Schnaufen geriet, und Unwin blieb an seiner Seite. Bis sie das Gebäude erreicht hatten, war das Bild verschwunden.Lamech stellte den Fuß auf die unterste Treppenstufe und stützte sich auf sein Knie. Sie warteten.
«Wahrscheinlich hat ihn Hoffmann erwischt, sobald er einen Fuß auf dieses Gelände gesetzt hatte», sagte Lamech. «Er muss jetzt einfach nur weiterschlafen, damit er sein Gefangener bleibt. Aber es ist noch schlimmer, viel schlimmer. Je länger Sivart in der Falle sitzt, desto weniger hat er noch die Macht über sein Selbst. Hoffmann wird alles herausfinden, was Sivart weiß, indem er zusammen mit seinen Gedanken seine ganze Identität übernimmt. Am Ende wird Sivart ein Nichts sein, leer, nur noch Gemüse. Oder ein hirnloses Opfer, das nur noch die Befehle des Magiers befolgt.»
Jetzt tauchte Sivart wieder auf. Es gab viele winzige Spiegelbilder von ihm, – offenbar befand er sich tief im Inneren des Spiegelkabinetts, und was sie sahen, war ein Bild, das bereis ein Dutzend Mal reflektiert worden war. Auch er schien sie zu sehen, denn er duckte sich und schob seinen Hut in den Nacken.
«Travis!», rief Lamech. «Können Sie mich hören?»
Die Miniaturausgaben Sivarts richteten sich allesamt auf und nahmen die Zigarren aus ihren Mündern. Unwin glaubte zu sehen, dass sich ihre Münder bewegten, doch außer dem Regen und dem Ächzen des Riesenrades war nichts zu hören. Lamech und er beugten sich vor. In diesem Moment veränderte sich etwas im Glas, und Unwins Sicht verschwamm. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, doch seine Augen waren nicht das Problem.
Die Spiegelung des Vergnügungsparks in ihrem Rücken veränderte sich, verblasste an manchen Stellen und wurde an anderen klarer und deutlicher. Teile der Landschaft traten in den Hintergrund, andere rückten näher wie durch eine starke Linse herangezoomt.
Unwin hörte jetzt den Regen auf seinen Schirm prasseln. Das Spiegelkabinett hatte sie eingeschlossen. In seiner Verwirrung drehte sich Lamech einmal um die eigene Achse und trat rückwärts in eine durchsichtige Wand. «Was?», fragte er, als wäre er am Telefon und hätte eine schlechte Verbindung erwischt. «Hallo? Hallo?»
«Ed Lamech», riefen die vielen Sivarts. Mittlerweile waren sie wieder in Bewegung, und einige verschwanden, während andere neu Gestalt annahmen. «Was führt Sie denn her zu dieser Tages …» Er hielt einen Moment inne. «Ach, verflixt, Kumpel. Haben wir Tag oder Nacht? Ich verliere den Überblick.»
«Gut zu sehen, dass Sie am Leben sind, Travis. Ich führe hier jemanden herum, das ist alles.»
«Die bezahlen Sie doch hoffentlich dafür, oder?» Die Sivarts schlichen gebückt um mehrere Ecken, und einige von ihnen wurden größer. Langsam kam er näher. «Wen haben Sie denn dabei?»
«Jemanden, der uns, glaube ich, helfen kann. Ihnen helfen kann, Travis – der Sie vielleicht hier herauskriegen kann.»
«Das ist super, Ed.» Plötzlich war Sivarts Ton verärgert. «Ich bin froh, dass Sie mir immer noch den Rücken stärken.»
Lamech riss sich schwungvoll den Hut vom Kopf. «Ich hab Ihnen gesagt, dass Sie nicht dahingehen sollen. Sie haben uns alle in Gefahr gebracht. Sie hier, in Hoffmanns träumendem Ich, und das als einer der Topleute der Agentur!»
«Jetzt schmeicheln Sie mir aber!»
«Wir waren ein gutes Team, Travis. Aber ich stecke hier in ziemlichen Schwierigkeiten. Häng tiefer drin, als Sie ahnen.Es ist gefährlich für mich, hier zu sein.» Lamech tastete die Wände ab, schlug mit seinem Hut dagegen. Schließlich entdeckte er eine
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