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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gegen das Kinn. Unwin taumelte gegen die Wand.
    «Das», sagte Screed, «war dafür, dass Sie gestern ins falsche Auto eingestiegen sind.»
    Screed packte ihn am Hemd und zerrte ihn auf den Gang hinaus. Dort war es still, die Türen der anderen Wächter waren geschlossen. Sie nahmen den Aufzug in die Eingangshalle, und Screed führte ihn um die Ecke, wo sein Wagen geparkt war. Mit einer unangezündeten Zigarette zwischen den Lippen steuerte sie der Detektiv in nördlicher Richtung an der Ostseite des Stadtparks entlang.
    Überall in den Straßen und in jedem Wohnviertel waren Schlafwandler unterwegs. Sie liefen wie ferngesteuert durch die Häuserschluchten, ein jeder der Hauptdarsteller in seinem eigenen wahnsinnigen Drama. Ein Mann in einem Geschäftsanzug stand am Rande des Parks und streute sich Vogelfutter auf den Kopf, auf dem sich bereits eine Schar Tauben zum Picken niederließ. Sein Gesicht war schon ganz zerkratzt, sein Anzug zerrissen und voller Vogelkacke. Auf einem Baum in der Nähe saß eine Gruppe junger Burschen, die mit Papierflugzeugen aus Zeitungspapier warfen. Unwin sah, wie sich einer von ihnen auf seinem Ast zu weit vorbeugte und herunterfiel.
    Screed drückte auf die Hupe und scherte aus, um einer alten Frau auszuweichen, die mitten auf der Straße hockte, die Hände mit Erdkrumen bedeckt. Sie hatte Blumenerde auf dem Pflaster verteilt und pflanzte etwas ein.
    «Diese Leute heutzutage!», sagte Screed.
    Offenbar hielt der Detektiv dies alles für ganz normal – als gehörte es einfach nur zum alltäglichen Chaos der Stadt.
Ein Feind von Unordnung jeglicher Art
, hatte er sich selbst genannt. Vielleicht war Hoffmanns Version der Welt ja genau die, die in Screeds Vorstellung bereits existierte. Als sie an einer Ampel hielten, nahm er die Zigarette aus seinem Mund, beugte sich vor und sah in den Rückspiegel, um sich etwas zwischen den Zähnen herauszupulen.
    Unwin rieb sich den Unterkiefer, dort wo Screed zugeschlagen hatte. Er dachte an die vielen Berichte voller wilder Behauptungen von Verdächtigen über die Umstände ihrer Festnahme, die er gelesen hatte. Wenn er sich beschwerte, würde das allenfalls so klingen wie das Gejammer eines Verzweifelten, doch er musste wenigstens den Versuch machen, Screed von seiner Unschuld zu überzeugen. «Ich hab Ihnen eine Aktennotiz geschickt», sagte er zu ihm. «Teilweise ging es darin um Sivarts Fälle.»
    «Mhhmmm», sagte Screed.
    «Ich hab herausgefunden, dass er sich in vielen Dingen getäuscht hat. Dass die meisten seiner Fälle niemals korrekt gelöst worden sind. Sie könnten derjenige sein, der das alles richtigstellt, Detektiv Screed. Wir können einander immer noch helfen.»
    «Oh, das werden wir sowieso», sagte er und beschleunigte an der Kreuzung.
    Screed griff in seine Jackentasche und holte den Notizblock heraus, den er zuvor aus Lamechs Büro mitgenommen hatte. Er hielt den Block so, dass Unwin das oberste Blatt sehen konnte. Es war mit einer feinen Bleistiftspitze leicht schraffiert worden, sodass sich die Spur der Worte abzeichnete, die auf dem vorangegangenen Blatt gestandenhatten. Unwin erkannte seine eigene Handschrift.
Gilbert, Zimmer 202.
    Sie parkten dem Hotel gegenüber. Screed führte ihn durch die Eingangshalle ins Restaurant, einen schummrigen Raum mit hohen Decken und Kristalllüstern, die mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Die Tapete, die mit goldenen Kringeln gemustert war, war von jahrelangem Tabakrauch vergilbt. Auf jedem Tisch stand eine Vase mit welkenden Lilien. Sie nahmen im hinteren Teil des Raumes Platz.
    «Ihre Komplizin», sagte Screed, «wurde überwacht, seit sie vor zwei Wochen in die Stadt zurückgekehrt ist. Ab und zu haben wir sie zwar für ein oder zwei Tage aus den Augen verloren, aber wir wissen, dass sie es sich zur Gewohnheit gemacht hat, ihre Mahlzeiten im Gilbert einzunehmen, wo sie, wie Sie sicher wissen, momentan auch abgestiegen ist.»
    Das Restaurant war gut besucht. Ein paar elegant gekleidete Herren saßen an einem Tisch nahe der Mitte des Raumes und waren in ein leises Gespräch vertieft. Als Unwin ihr Gemurmel verstehen konnte, hörte er nur Zahlen. Sie stritten sich über irgendeine Rechnung oder über den Traum von einer Rechnung. Links von Unwin saß, allein am Tisch und mit einer Serviette, die er sich in den Hemdkragen gestopft hatte, der Mann mit dem blonden Spitzbart. Er musterte kritisch sein Omelett, von dem er kleine Stückchen abschnitt und mit gemessener Sorgfalt kaute.

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