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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Bruder war tot, und er würde alles erben. Meine Sammlung, mein Haus – er würde dort nette Partys schmeißen, sagte er. Keine solch armseligen Feste mehr. Er sagte, er würde vor meinem Kamin Brandy trinken.»
    Der Mann mit dem blonden Bart umrundete den Tisch und versuchte, sich Unwins Bleistift zu schnappen. Unwin hielt ihn fest, bis er zerbrach.
    «Einen Einzigen durfte ich behalten», sagte der Colonel. «Und den konnte ich mir aussuchen.» Er zog den alten Dienstrevolver aus seiner Tasche. Die Waffe schimmerte vom vielen Polieren und ähnelte mit ihrer glatt geschliffenen Oberfläche einem Gegenstand aus einem versunkenen Schiff, der nach vielen Jahren geborgen wird. Diese Pistole war der leuchtendste Gegenstand in diesem Raum.
    «Hört jetzt endlich auf, verdammt noch mal!», schrie der Mann mit dem blonden Bart und stürzte sich auf ihn.
    Auf diese Worte reagierte der Colonel wie auf einen Schlachtruf. Er knurrte und begann mit seinem Gegner zu kämpfen, Speichel flog von seinen Lippen. Keiner der Männer war sehr stark; sie umkreisten sich in einer Art zuckendem Tanz, wobei der Colonel immer wieder vor dem Spitzbart zurückwich, wenn dieser drohte, ihn zu packen. Dabei fiel er hin, und der Mann mit dem blonden Bart ging mit ihm zu Boden. Dann fiel der Schuss.
    Colonel Baker erhob sich auf die Knie. Er packte eine Tischkante und zog sich daran hoch. Der Mann mit demblonden Bart blieb auf dem Boden liegen. Seine Zähne klapperten. Es klang, dachte Unwin, wie Münzen, die in ein Münztelefon fallen.
    «Nur das eine noch», sagte der Colonel. Der alte Dienstrevolver lag immer noch in seiner Hand. Es schien ihn zu überraschen, ihn zu sehen. «Ich hab mir nur das genommen, was ich brauchte.»
    Screed hatte seine Pistole gezückt, konnte den Colonel jedoch nicht mehr davon abhalten, die Waffe gegen sich selbst zu richten. Unwin wandte gerade noch rechtzeitig den Kopf ab, bevor der Schuss den vierten und endgültigen Tod von Colonel Baker verkündete.
    Screed ließ seine Pistole auf den Tisch fallen und hob die Serviette auf. Er hielt sie sich vors Gesicht, atmete schnell, machte kleine Geräusche in den Stoff. Einen Augenblick später legte er die Serviette ab und trank seinen Whiskey Sour. Als das Glas leer war, kippte er auch den von Unwin.
    Unwin lehnte mit dem Rücken an der fleckigen grünen Tapete des Restaurants. Er konnte sich nicht erinnern, wann er aufgestanden war. Screed sagte etwas zu ihm, doch Unwin konnte nur sehen, wie sich die Lippen des Detektivs bewegten. Irgendwann konnte er wieder hören.
    «Sie haben die Wahrheit gesagt», meinte Screed. «Was Sivarts Fälle angeht.»
    Auf dem Boden hatte der Mann mit dem blonden Bart aufgehört, mit den Zähnen zu klappern.
    «Ja.»
    «Die Fälle interessieren mich nicht», sagte Screed. «Ich will Enoch Hoffmann.»
    Unwin gestattete sich noch ein paar Atemzüge und nahm sich Zeit, alles zu überdenken. «Und im Gegenzug werden Sie mich gehen lassen.»
    Screeds Schnurrbart zuckte, doch er sagte: «Ja. Ich lasse Sie gehen.»
    In Unwins Kopf nahm ein Plan Gestalt an. Er war voller Lücken, und es blieb ihm auch keine Zeit, ihn mit den Empfehlungen aus dem
Handbuch
abzugleichen. Dennoch war er alles, was er hatte. «Okay», sagte er. «Ich treffe verschiedene Vorkehrungen.»
    «Was brauchen Sie?», fragte Screed.
    «Ich brauche meinen Wecker.»
    Screed fischte den Zeitmesser aus seiner Jacke und schob ihn ihm hin. Die Glocke klirrte leise.
    «Gehen Sie morgen früh um sechs Uhr ins
Ratzekatz
», sagte Unwin. «Begeben Sie sich in das Zimmer, das früher Colonel Bakers Arbeitszimmer war, und warten Sie.»
    «Wieso?», fragte Screed.
    «Hoffmann wird dort sein, und er wird nicht mit Ihnen rechnen. Sie müssen jedoch den richtigen Moment abpassen. Sie werden es wissen, wann er kommt.» Das war die Art von tollkühner Behauptung, die Sivart aufgestellt hätte, um Zeit zu gewinnen. Manchmal hielt der Detektiv dann seine Versprechungen, manchmal wandelte er einfach die Regeln so weit ab, dass sein Versprechen keine Bedeutung mehr hatte. Unwin konnte sich glücklich schätzen, dachte er, wenn es ihm gelang, die Nacht zu überleben.
    Er schob den Wecker in seine Aktentasche und verließ das Restaurant durch die Vordertür. Auf der Gasse fand er sein Fahrrad wieder, das immer noch an die Feuerleiter gekettet stand, wo er es in der vergangenen Nacht zurückgelassen hatte. Zumindest in einer Hinsicht hatte er recht gehabt. Die Kette musste dringend geölt werden.

Ein

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