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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Körper fiel. Er versuchte, sie aufzufangen, doch etwas packte ihn und zog ihn weg. Die Kopfhörer landeten auf dem Kissen. Unter sich erkannte er ein riesiges lavendelfarbenes Kleid und wusste, dass er in Miss Palsgraves Armen lag. Sie wiegte ihn wie ein Kind, während sie ihm seine Schuhe überstreifte. Ihr Atem war warm an seiner Stirn. Sie schob die Schallplatte in seine Aktentasche zurück und gab sie ihm. Seine Arme zitterten, als er sie entgegennahm.
    Am anderen Ende des Archivs, in der Nähe der Stelle, an der Unwin es betreten hatte, durchschnitten die Strahlen zweier Taschenlampen das Dunkel und hinterließen zwei breite Lichtovale auf dem Boden. Miss Palsgrave seufzte auf, als sie sie erblickte, und stülpte Unwin dann seinen Hut wieder auf den Kopf. Sie setzte sich in Bewegung. Ungestört schliefen die Unterschreiber um sie herum weiter.
    Wie sehr Unwin fror! Seine Zähne klapperten, als er sagte: «Sie haben früher beim Wanderzirkus gearbeitet. Für Hoffmann.»
    Miss Palsgraves Stimme klang metallisch und dünn, als käme sie aus einem selbst gebastelten Telefon, das nur aus einer Schnur und zwei Blechbüchsen bestand. «Für Caligari», korrigierte sie ihn. «Niemals für Hoffmann. Nachdem er seinen großen Coup gelandet hatte, bin ich gegangen.»
    «Und sind zur Agentur übergelaufen.»
    «Das Problem besteht nicht darin, ob man zur einen oder zur anderen Seite gehört, Mr. Unwin – und es wird immer eine Agentur und einen Zirkus geben, denen man angehören kann. Das Problem ist, einer davon
zu lange
anzugehören.»
    Unwin dachte an das kleine quadratische Häuschen, dasin Lamechs Traum sein eigenes Denken symbolisiert hatte. Es hatte direkt am Rande des Vergnügungsparks gestanden; war es damit vielleicht zeitlich verknüpft? «Habe ich vielleicht …», begann er, wusste jedoch nicht, wie er die Frage weiterformulieren sollte.
    Miss Palsgrave sah auf ihn hinab. Im Dunkeln konnte er nur den matten Schimmer ihrer Augen erkennen.
    «Der schlafende König und der Wahnsinnige vor den Toren», sagte sie. «Auf der einen Seite eine Art Ordnung, auf der anderen eine Art Unordnung. Wir brauchen sie beide. So ist das schon immer gewesen.»
    «Aber Ihr Chef – mein Chef. Er ist ein Mörder.»
    «Das Pendel ist zu sehr in die eine Richtung ausgeschlagen», stimmte ihm Miss Palsgrave zu. «Nachdem Hoffmann einen Pakt mit dem Aufseher geschlossen hatte, hat er aufgehört, für den Zirkus zu arbeiten, und nur noch für sich selbst gearbeitet. Am zwölften November wurde dieser Pakt null und nichtig, weil Sivart den Fall tatsächlich korrekt gelöst hatte und Hoffmann den Verdacht hegte, von seinem Kumpan verraten worden zu sein. Inzwischen überschreitet die Agentur ihre Schranken, während der Wanderzirkus im Regen verrottet. Hoffmann ist im Laufe der Jahre verzweifelt. Er wird die Stadt in einen Albtraum versetzen, nur um sie wieder für sich allein zu haben.»
    Sie gelangten zu der riesigen Maschine am anderen Ende des Archivs. Hier roch es nach Wachs und Elektrizität. Eine Reihe eben gepresster Grammophonplatten stapelte sich auf einem Rollwagen in der Nähe. Jetzt, da Unwin die Wahrheit über den Aufseher der Agentur wusste, sah er diesen Ort in neuem Licht. Es war ein Hort der geheimsten Gedanken, Phantasien und Begierden der Stadt, und alles lag in den Händen eines Mannes, der jederzeit bereit war,Zwang und Gewalt auszuüben, um herauszufinden, was er wissen wollte, und der selbst einen alten Freund umbrachte, damit seine Geheimnisse nicht gelüftet wurden. Auch Unwins eigene Träume waren da draußen, dachte er, zusammen mit den Träumen all jener, die jemals die Aufmerksamkeit des niemals blinzelnden Agenturauges auf sich gezogen hatten.
    «Wie konnten sie Arthur denn eine solche …» Unwin suchte nach dem richtigen Wort, «… eine solche Grenzüberschreitung gestatten?»
    «Es gab mal eine Zeit, als ich das für nötig hielt», sagte Miss Palsgrave. «Hoffmann war zu gefährlich, und uns war jedes Mittel recht, um ihn zu bekämpfen.»
    «Und jetzt?»
    Einen Moment lang wirkte sie unsicher. «Jetzt muss sich viel verändern.»
    Auf einmal standen die beiden Detektive, die Unwin im Fahrstuhl zusammen mit Detektiv Screed gesehen hatte – Peake und Crabtree – mitten im Archiv. Grimmig musterten sie den riesigen rosa Stuhl, die Lampe, den Teppich. Peake schlug sich mit der Taschenlampe auf die Handoberfläche und sagte: «Hab meine Ersatzbatterien vergessen.»
    «Halt die Klappe», sagte Crabtree,

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