Handbuch für Detektive - Roman
guter Detektiv versucht alles herauszufinden. Aber ein erstklassiger Detektiv nur so viel, um ans Ende zu gelangen.
Unwin schob sein Fahrrad in Richtung Straße, musste jedoch feststellen, dass der Hotelpage des Gilbert am Eingang zur Gasse stand und ihm den Weg versperrte. Der Junge hatte einen großen schwarzen Schirm über sich aufgespannt. Er hielt ihn Unwin hin und sagte: «Der hier ist im Fundbüro abgegeben worden. Ich dachte, Sie brauchen ihn vielleicht.» Die Stimme des Jungen war vollkommen klar, doch seine Augen waren halb geschlossen und blickten ins Leere.
Unwin ging langsam auf ihn zu und trat dann zu ihm unter den Schirm. «Tom», sagte er, als er das Namenschildchen an seiner roten Jacke gelesen hatte, «wie kommst du darauf, dass ich den dringender brauchen könnte als jeder andere?»
Ohne ihn anzusehen, sagte der Page: «Ist eine lange Fahrt von hier zum
Ratzekatz.
»
Plötzlich wurde es Unwin kälter. Unwillkürlich trat er in den Regen zurück, schob sein Rad neben sich her. Ihm fiel das Bild wieder ein, das er an diesem Morgen vor sich gesehen hatte – das Backgammonbrett in dem Häuschen,Hoffmanns ausdrucksloses Starren.
Jeder könnte der Magier sein.
«Tom, woher kennst du das
Ratzekatz?»
Der Page runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Offenbar fand er nicht die richtigen Worte. «Ich kenne es nicht», sagte er. «Ich bin nur der Hotelpage. Aber Dad sagt, ich werde vielleicht zum Rezeptionisten befördert, wenn ich mich ordentlich anstelle.»
Während der Page noch sprach, begann Unwin langsam um ihn herumzugehen. Doch Tom packte ihn am Handgelenk und hielt ihn fest. Er hatte kraftvoll zugefasst. «Ich weiß nichts über das
Ratzekatz»
, sagte er. «Aber ich bin gut im Überbringen von Nachrichten.»
«Du hast eine Nachricht für mich? Von wem?»
Unwin konnte die Atemwolke des Jungen in der Luft sehen, während er sprach. «Momentan ist sie im vierzehnten Stock und hat den Kopf im Schlaf auf Ihren alten Schreibtisch gelegt. Mr. Duden versucht sie zu wecken, und vielleicht gelingt es ihm auch bald. Bis dahin stehen sie und ich …» Toms Stimme ebbte ab, er runzelte wieder die Stirn. «Wir stehen in direkter Verbindung.»
Unwin blickte sich um. Er sah niemanden auf der Straße, niemanden, der aus den Fenstern über ihnen herunterschaute. Er trat wieder unter den Regenschirm und flüsterte: «In direkter Verbindung? Mit Penelope Greenwood, meinst Du.»
«Keine Namen», sagte Tom. «Man weiß nie, wer …»
«Man weiß nie, wer vielleicht mithört», sagte Unwin. «Ist in Ordnung, Tom. Aber wie lautet die Nachricht?»
«Ihr Dad und sie sind hintendran. Nein, mittendrin. In einem Wettstreit des Willens. Sie versucht ihn aufzuhalten. Sie sagt, sie ist auf Ihrer Seite.»
«Aber ich habe mitangesehen, wie die beiden sich versöhnt haben», sagte Unwin. «Ihr Vater sagte, sie würden zusammenarbeiten. Er meinte, es sei nicht das erste Mal.»
Tom legte den Kopf schief, als wären seine Ohren Antennen, und als versuchte er, einen besseren Empfang zu bekommen. «Am zwölften November wurde sie elf Jahre alt. Er hat sie … zwangsverpflichtet.»
«Zu was denn genau?»
Tom schloss die Augen und atmete langsam. Dabei schwankte er ein wenig. Eine Minute verging, und Unwin dachte schon, er habe den Kontakt zu ihm verloren, und die Verbindung zu Penelope – welcher Art sie auch immer war – sei unterbrochen. Dann sagte der Hotelpage ganz leise: «Ihr Vater ist kein Puppenspieler. Aber sie hatte einen anderen Lehrmeister. Von ihm hat sie gelernt … hineinzukommen, aber auch, Dinge zurückzulassen.»
«Was für Dinge, Tom?»
«Anweisungen», sagte er.
Das war der Teil von Hoffmanns tückischem Plan, der Edwin Moore an diesem Morgen so erschreckt hatte. Der Magier wusste nicht, wie man einem Schlafenden Dinge einflüstern konnte – seine Tochter schon. Das hatte ihr Caligari beigebracht.
«Anweisungen», wiederholte Unwin, «mitten in der Nacht aufzustehen und den kommenden Tag einfach aus dem Kalender zu streichen. Oder die Wecker der Nachbarn zu stehlen. Oder, noch schlimmer, jegliche Vernunft fahren zu lassen und dabei mitzuhelfen, die Welt auf den Kopf zu stellen.» Unwin zeigte auf einen Mann, der das Hotel mit einem Koffer in der Hand verlassen hatte. Er ging den Gehsteig entlang und verteilte die Kleidungsstücke aus seinem Koffer in der ganzen Umgebung. Einen Briefkasten und einenFeuerhydranten hatte er bereits damit bekleidet. Im Moment versuchte er gerade, ein
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