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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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durch eine Fabrikmaschine in Streifen geschnitten, zwischen Betonplatten erdrückt, mit einer Bratpfanne erschlagen, aus dem Fenster gestürzt, ausgeweidet, bei lebendigem Leibe verbrannt oder begraben, lange Zeit unter Wasser gedrückt, die Treppe hinabgeworfen oder einfach nur mit Schlägen und Tritten aus dem Leben befördert worden waren – für einen Schreiber aus dem vierzehnten Stock waren die grausigen Einzelheiten solcher Todesfälle, wenn man so sagen konnte, sein täglich Brot. Tatsächlich gab es ganze Register von Todesursachen, und Unwin selbst hatte von Zeit zu Zeit neue Überschriften oder Zwischenüberschriften dazu beigetragen, wenn ein besonders erfindungsreicherMord einen Zusatz oder eine Erweiterung notwendig machte: «Erdrosselung durch unbeaufsichtigte Boa Constrictor», war eine davon gewesen, ebenso «Muffins mit giftigen Beeren».
    Ein Mann, der so gründlich mit der ganzen Bandbreite menschlichen Ablebens vertraut war, hätte dementsprechend das Resultat eines wirklichen Mordes mit ungewöhnlicher Gelassenheit betrachten können, in diesem Falle einen Mann, dessen Hals die typischen blauen Striemen des Erdrosselns aufwies und dessen Zunge ihm aus dem Mund hing, eine Folge des Erstickens ebenso wie die Augen, die beinahe vollständig aus den Höhlen quollen.
    Unwin zog die Hand aus dem Licht zurück und machte mehrere Schritte rückwärts, wobei er über die Teppichkante stolperte und in einen der dick gepolsterten Stühle fiel, dessen weiche Polsterung seine Abscheu nicht dämpfen konnte. In beinahe jedem dunklen Winkel sah Unwin einen Mörder kauern, der nur auf eine Gelegenheit wartete, noch einmal zuzuschlagen. Jeder Schritt von der Stelle weg, wo er saß, würde ihn zumindest einem dieser Meuchler näher bringen.
    So blieb er, die Aktentasche auf seinen Schoß gedrückt, reglos sitzen, in genau der Haltung, in der er auch seine eigentliche Unterredung mit Mr. Lamech geführt hätte. Diese Konferenz dauerte noch eine Weile an, doch bloß das Wetter draußen hatte etwas zu sagen, und auch das nur in eigener Sache.

Viele Fälle beginnen mit einem Toten – das kann beunruhigend sein, doch wenigstens weiß man dann, woran man ist. Schlimmer ist es, wenn die Leiche erst mitten in den Ermittlungen auftaucht, weil sie dann alles verkompliziert. Folglich verfährt man am besten mit der Wachsamkeit dessen, der immer damit rechnet, dass hinter jeder Ecke eine Leiche liegen kann. Auf diese Weise ist es unwahrscheinlicher, dass es die eigene ist.
     
    Ein Klopfen an der Tür riss Unwin aus seiner Benommenheit. Wie lange hatte er hier schon gesessen? Lange genug, damit sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnen und er erkennen konnte, dass er mit Lamechs Leiche ziemlich allein war. Hätte jemand hervorspringen und ihn töten wollen, dann wäre es bereits geschehen.
    Ein zweites Klopfen an der Tür, diesmal noch lauter. Er hätte gehen sollen, sobald er die Leiche entdeckt hatte, hätte eigentlich schreien oder sogar auf den Flur hinauslaufen und in Ohnmacht fallen sollen. Das hätte seine Rolle in der Angelegenheit offensichtlich gemacht: Er war der unselige Entdecker eines schrecklichen Verbrechens. Doch was würde man denken, wenn er jetzt an die Tür kommen würde und sagte: «Ach, kommen Sie doch bitte herein. Undschauen Sie, da sitzt ein Toter am Schreibtisch. Sachen gibt’s.»
    Er hätte sich in die Ecke hinter dem Bücherregal quetschen können, doch das hätte nur ein armseliges Versteck abgegeben. Wenn man ihn entdeckte, wie er dort hinten kauerte, würde das den Verdacht gegen ihn nur noch erhöhen. Aber wenn er noch ein bisschen wartete, gab die Person an der Tür ja vielleicht auf und ging weg.
    Unwin wartete. Geklopft wurde nicht mehr, aber er hörte die fragende Stimme einer Frau: «Mr. Lamech?»
    Dann also die Leiche. Er musste etwas mit dem Leichnam machen. Er stellte sich hinter Lamechs Stuhl und schaute auf den breiten, blitzblanken Schädel hinab. Aus diesem Blickwinkel sah es so aus, als wäre mit dem Mann alles in bester Ordnung. Er war nur sehr müde und hatte sich für ein kleines Nickerchen in seinem Stuhl zurückgelehnt. Er roch noch nicht einmal so, wie Unwin sich das bei einer Leiche immer vorgestellt hatte. Er roch nach Rasierwasser.
    Trotzdem brachte Unwin es nicht über sich, den Toten zu berühren. Er griff nach der Stuhllehne und rollte ihn langsam rückwärts. Lamechs große Hände fielen auseinander, als sie über die Tischplatte glitten, doch seine

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