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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Finger blieben steif. Dann sackten plötzlich die Arme nach unten, und sein Oberkörper kippte vornüber. Unwin musste den Stuhl zurückreißen, damit der Kopf des Mannes nicht auf die Schreibtischkante knallte. Der Stuhl knarzte unter dem Gewicht des schlaffen Leichnams.
    Jetzt klopfte die Frau wieder, diesmal so laut, dass es bestimmt jeder auf dem Stockwerk hörte.
    «Einen Moment!», rief Unwin, und die Frau stieß ein kleines überraschtes «Oh!» aus, als hätte sie eigentlich nicht mit einer Antwort gerechnet.
    Den einen Fuß gegen das Stuhlbein gestützt, schob Unwin mit beiden Händen die Leiche weg. Diese beugte sich immer weiter vor, wobei das Rückgrat eine Reihe von ploppenden Geräuschen von sich gab, bei denen sich Unwin der Magen umdrehte. Er schloss die Augen, hielt die Luft an und drückte noch einmal. Diesmal rutschte der Leichnam vom Stuhl und fiel geräuschlos ins Dunkel unter dem Schreibtisch.
    Dann rief Unwin, im gebieterischsten Tonfall, den er aufbringen konnte, Lamechs unbekannter Besucherin zu, sie möge doch eintreten.
    Die Frau trug ein schwarzes Kleid mit weißem Spitzenkragen und Spitze an den Manschetten. Es war ein sehr hübsches Kleid, jedoch in einem Schnitt, den Unwin schon seit mindestens zehn Jahren nicht mehr in der Stadt gesehen hatte. Ihre Hände schlossen sich fest um ein ebenso altmodisches Täschchen. Das Haar war unter ein schwarzes Spitzenhäubchen hochgebunden, das noch feucht vom Regen war. Sie war vielleicht zehn Jahre älter als Unwin und sehr schön –
ein richtiger Hingucker
, hätte Sivart wahrscheinlich geschrieben. Es war außerdem die Frau mit dem müdesten Gesicht, das Unwin je gesehen hatte. Die Besucherin schaute argwöhnisch ins Zimmer, und die Schatten unter ihren Augen waren so dunkel, dass Unwin sie zuerst für einen exotischen Schminktrick hielt.
    «Bitte kommen Sie herein», sagte er.
    Die Frau taumelte zögernd und träumerisch auf ihn zu, als könne sie jeden Moment straucheln, hielt sich jedoch wundersamerweise auf den Beinen.
    «Mr. Lamech», sagte sie.
    Erleichtert darüber, dass sie den Wächter nicht vom Sehen kannte, setzte er sich, stieß dabei jedoch mit der Fußspitzean den toten Körper unter dem Schreibtisch und musste hüsteln, um seinen Schrecken zu überspielen.
    «Ich weiß, dass das hier normalerweise anders läuft», sagte sie.
    Unwins Magen krampfte sich zusammen. Hatte er sich so schnell verraten?
    «Ich weiß, dass ich zuerst um einen Termin ersuchen müsste», fuhr die Frau fort, «und dann würde mir jemand mitteilen, wer sich meines Falles annimmt. Aber ich konnte nicht warten, und ich wollte auch nicht irgendjemanden sprechen. Ich musste zu Ihnen.»
    Dann war sie es also, die die Regeln verletzt hatte. Unwin räusperte sich und bedachte sie mit einem strengen Blick. Dann bot er ihr, um seine Großzügigkeit unter Beweis zu stellen, einen Stuhl an.
    Sie schaute auf das dicke Polster, und ihre Augenlider senkten sich merklich nach unten. «Ich darf nicht», sagte sie. «Ich würde auf der Stelle einschlafen.» Allein der Gedanke, sich hinzusetzen, schien sie zu überwältigen; sie drückte ihr Täschchen und schloss einen Moment lang die Augen.
    Unwin sprang auf, weil er dachte, er müsse sie auffangen. Doch sie hatte sich schnell wieder im Griff, blinzelte mehrmals und sagte: «Ich bin selbst eine Art von Detektiv. Ich hab rausgefunden, dass Sie einer von Sivarts Wächtern sind.»
    In dem Moment, in dem sie es sagte, wusste er, dass sie recht hatte. Lamech war Sivarts Wächter gewesen, so, wie er Sivarts Schreiber war. Jetzt war er alles auf einmal: Schreiber aus Berufung, Detektiv laut Beförderung, Wächter aus Versehen.
    «Mein Name ist Vera Truesdale», sagte sie, «und ich bin ein Opfer rätselhafter Vorgänge.»
    Unwin nahm wieder Platz, weil er wusste, dass ihm nichtsanderes übrig blieb, als mitzuspielen. Seine Aktentasche hatte er neben dem anderen Stuhl stehen lassen, weshalb er nun die oberste Schreibtischschublade öffnete und fand, wonach er suchte: einen Notizblock. Er legte ihn vor sich auf den Tisch und griff nach einem Bleistift.
    «Fahren Sie fort», sagte er.
    «Vor etwa drei Wochen bin ich von außerhalb in die Stadt gekommen», sagte Miss Truesdale. «Ich wohne im Gilbert Hotel, Zimmer 202. Ich habe mehrfach gebeten, ein Zimmer in einem höheren Stockwerk zu bekommen.»
    Unwin wechselte zur Kurzschrift über, um sich alles notieren zu können. «Warum möchten Sie denn ein anderes Zimmer?», fragte

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