Handbuch für Detektive - Roman
gefunden hatte.
Jetzt war Emily ganz Ohr. «Hinweise, Sir?»
«Keine Hinweise», sagte Unwin. «Aber schließlich
war
das hier doch Sivarts Büro.»
Emily schaute im Aktenschrank nach, während Unwin den Schreibtisch durchsuchte. In der obersten Schublade stieß er, Lamechs Anordnung gemäß, auf seine persönlichen Dinge: eine Lupe für Kleingedrucktes, einen silbernen Brieföffner, den man ihm nach zehn Jahren treuer Dienste für die Agentur geschenkt hatte, und einen Ersatzschlüssel für seine Wohnung. Die zweite Schublade enthielt nur einen Stapel Schreibmaschinenpapier. Unwin konnte nicht widerstehen: Er nahm ein paar Blätter heraus und spannte eins davon in die Maschine ein. Die Maschine war ein gutes Gerät, schnittig und schnörkellos, mit einem dunkelgrünen Korpus, runden schwarzen Tasten und silbrig schimmerndenTypenhebeln. Bislang war diese Schreibmaschine das Einzige, was Unwin am Detektivsein gefiel.
«Leer», sagte Emily. «Alles leer.» Sie war mit den Aktenschränken fertig und machte sich gerade an die Regale.
Ohne auf sie zu achten, überprüfte Unwin die Randbegrenzungen und justierte den linken und rechten Rand (er mochte es, wenn sie auf exakt fünf Achtel eines Zolls vom Blattrand eingestellt waren). Er prüfte die Spannung der Federn, indem er ganz leicht auf einige der wichtigeren Tasten drückte: das E, das S, die Leertaste. Sie enttäuschten ihn nicht.
Er tat so, als würde er tippen, und ließ dafür die Finger über den Tasten tanzen, ohne sie zu drücken. Wie gern hätte er mit seinem Bericht angefangen!
Heute
, so könnte er beginnen, und dann würde es weitergehen mit
Morgen
, ja,
Heute Morgen, nachdem ich mir eine Tasse Kaffee besorgt hatte
, aber nein, er konnte nicht mit dem Kaffee beginnen. Wie wäre es denn mit
Ich
? Mit einem
Ich
kam er wirklich überall rein.
Ich bedauere, berichten zu müssen
, wäre ein guter Anfang, oder:
Ich wurde von einem gewissen Detektiv Samuel Pith im Central Terminal angesprochen
, oder:
Ich bin ein Schreiber, nur ein Schreiber, doch ich sitze am viel zu großen Schreibtisch eines Detektivs
, nein, nein, das mit dem
Ich
ging gar nicht, es war zu persönlich, zu anmaßend. Das
Ich
würde Unwin herauslassen müssen.
Emily stand, mittlerweile außer Atem, wieder vor ihm. «Hier ist nichts, Sir. Der Putzmann hat gründliche Arbeit geleistet.»
Das brachte Unwin auf eine Idee. «Hier», sagte er. «Ich zeige Ihnen jetzt einen alten Schreibertrick. Unter den Kollegen vom vierzehnten Stock ist das so was wie ein Berufsgeheimnis.»
«Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Sir.»
Er war froh über die Gelegenheit, sie zu beeindrucken und vielleicht ihr Vertrauen zu gewinnen. «In einem Büro, in dem so viel zu tun ist wie im vierzehnten Stock», erklärte er, «geht gelegentlich – sehr gelegentlich, wohlgemerkt – ein Dokument verloren. Vielleicht rutscht es unter einen Aktenschrank, oder jemand wirft es versehentlich mit dem Einwickelpapier von seinem Pausenbrot weg. Oder aber, wie Sie mir gerade in Erinnerung gerufen haben, es wird von einem übereifrigen Putzmann entsorgt.»
Unwin klappte die Abdeckung der Schreibmaschine auf und löste vorsichtig die Spulen des Schreibbandes. «In Fällen wie diesem», fuhr er fort, «wo kein Durchschlag zur Verfügung steht, gibt es nur eine Methode, um das fehlende Dokument wiederherzustellen. Auf der Oberfläche des Schreibbandes sind nämlich, und zwar so fein, dass man sie nur aus der Nähe und bei gutem Licht erkennen kann, all die Buchstaben zu erkennen, die der Schreibende jemals zu Papier gebracht hat. Dieses Band hier ist nur wenig benutzt, aber Sivart muss eine Weile damit gearbeitet haben.»
Er legte Emily das Band in die Hände. Sie zog sich einen Stuhl an den Schreibtisch und nahm Platz, während Unwin den Lampenschirm so drehte, dass sie die bestmögliche Beleuchtung hatte. In jeder Hand hielt sie eine Spule, sodass das Band dazwischen hing. Ihre großen Brillengläser schimmerten im Lampenlicht.
Unwin nahm das Papier, das er gerade eingespannt hatte, wieder aus der Maschine und holte einen Federhalter aus seiner Aktentasche. «Lesen Sie mir alles vor, Emily.»
Sie kniff die Augen zusammen und las: «‹M-U-E-S-U-M-T-D-A-T-S.› Muesum? Müsli auf Lateinisch?»
«Natürlich nicht. Der erste Buchstabe auf dem Band istder letzte, den Sivart getippt hat. Wir werden also rückwärts lesen müssen. Bitte fahren Sie fort.»
Emilys Nervosität war wieder da (besser die, dachte Unwin, als ihr
Weitere Kostenlose Bücher