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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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selbst.»
    Das hatte ich auf einem der Plakate gelesen, die sie überall in der Stadt angeklebt hatten. Es war der Slogan dieses Typen, und ich konnte nichts damit anfangen. Später, als wir zur Zisterne gingen, um frisches Wasser zu holen, brachte ich ihn endlich dazu, doch noch etwas Interessantes zu sagen: «Die Leute, die immer bleiben, wo sie sind, trauen dem fahrenden Volk einfach nicht», sagte er. «Mein Zirkus ist in all den Jahren Opfer wilder Anschuldigungen geworden, von denen sich alle als unhaltbar herausgestellt haben. Langsam bin ich es leid, immer die gleichen alten Geschichten zu hören.»
    «Wegen der Geschichten bin ich hier», sagte ich zu ihm. «Wollen Sie damit sagen, es besteht für uns kein Grund zur Sorge?»
    Schreiber, Sie hätten das Funkeln in seinem Auge sehen sollen. «Sie haben allen Grund, sich Sorgen zu machen, Detektiv. Täuschen Sie sich nicht, ich
bin
Ihr Feind. Glauben Sie denn, Sie haben die Kontrolle über das, was man weiß, und das, was unbekannt ist? Ich sage Ihnen, das Unbekannte wird immer grenzenlos sein. Dieser Ort hier lebt von seinem Geheimnis; wir schwelgen darin. Die Welt ist ein tumbes Kaff, und wer auch immer versucht, das Gegenteil zu beweisen, wird der Erste sein, der als Opfer unseres wohlverdienten Spotts auf der Bühne erwacht.»
    Er hatte sich ein wenig in Rage geredet und musste sich hinsetzen, um wieder zu Atem zu kommen. Das kleine Mädchen lief weg und kam nach etwa einer Minute mit einer Tasse Kakao wieder. Er nippte daran, schaute zu den Elefanten. Die Tiere waren beim Fressen und rupften sich mit den Rüsseln Heu zu mundgerechten Portionen.
    «Die erinnern sich an alles», sagte Caligari leise. «Ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde. Und ihre Träume, Detektiv. Eine Minute in einem ihrer Träume ist wie ein Monat auf Achse, ungehemmt, unerforscht.»
    Ich wusste nicht, was er damit meinte oder ob er überhaupt etwas damit meinte. Doch so viel weiß ich: Diesen Typen mussten wir im Auge behalten.
    Mittlerweile hatte der Zirkus geschlossen, und um uns herum gingen die Lichter aus. Das Mädchen nahm mich an der Hand und führte mich weg, zum Haupteingang. Dort drehte sie meine Hand um und schaute sich die Handfläche an. «Sie werden ein langes Leben haben», sagte sie, «aber es wird Ihnen lange Zeit nicht gehören. Gute Nacht, Travis.»
    Irgendetwas in dem, was sie gesagt hatte, wurmte mich – nicht ihre Prophezeiung, die für mich großer Kokolores war, sondern die Tatsache, dass sie meinen Vornamen kannte. Ich hatte ihn nämlich niemals erwähnt, niemandem gegenüber.
    Fünf Monate später war Caligari verschwunden. Seine Angestellten hatten die Stadt nie verlassen, und am Ende wurde der Zirkus zwangsweise geschlossen. Doch die Arbeiter weigerten sich, trotz zahlreicher Festnahmen, zu gehen. Sie fanden andere Wege, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und Gleichgesinnte waren ihnen willkommen. Allen anderen blieben die Tore verschlossen, und der Zirkus wurde zum Wanderzirkus-der-nicht-mehr-wandert.
    Viele fragten sich: Was war mit den Elefanten? Was war aus ihnen geworden?
    Jahrelang hatten Menschen, besonders in ruhigen Nächten, von einem leisen Trompeten berichtet, das wie eine Mahnung, ein Omen, vom abgedunkelten Zirkusplatz her kam.
    Was Unwin jetzt viel mehr beschäftigte, war das kleine Mädchen, Caligaris Assistentin, die Sivarts Vornamen gewusst und wie eine Art Hellseherin gesprochen hatte. Konnte das die Tochter von Cleopatra Greenwood gewesen sein?
     
    Auf der Ladefläche des Dampflasters der Rook-Brüder klang das Ticken der Wecker wie das Summen tausender Insekten.Die Uhren summten und brummten, wenn der Laster über Schlaglöcher in der Straße rumpelte, und Unwin stellte sich vor, sie könnten jeden Moment wie ein riesiger tickender Schwarm ausbrechen. Als er unter die Abdeckplane blickte, sah er, dass Moore nicht mehr dort lag, ebenso wenig wie Piths Leiche. Wie viele Wagenladungen voller Wecker hatten die Schlafwandler wohl gestohlen?
    Indessen waren sie an der äußersten Ecke des Zirkusgeländes angelangt. Hier, am Rande der Bucht, waren die Streifen der Zelte immer noch bunt, und die Lichtergirlanden am Kai leuchteten rot, blau und orange. Die meisten der notdürftig gezimmerten Bauten waren in kleine Häuschen umgewandelt worden, und dazwischen waren Schuppen errichtet worden. Hier sah es weniger wie auf einem Zirkusgelände aus als nach einer Barackenstadt, in der ein Zirkus zu Gast war. Der Laster hielt neben dem

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