Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
Kassenhäuschen verlassen hatten, hatte er ihre prüfenden Blicke bemerkt.Sie standen in zerlumpten Mänteln unter den Dachtraufen der Spielbuden oder lungerten im Schatten der längst stillgelegten Fahrgeschäfte herum, brutzelten sich über offenen Feuern etwas zum Frühstück: finstere Handlanger, missmutige Clowns, arthritische Akrobaten. Sie standen flüsternd oder wiehernd vor Lachen beieinander, oder sie gingen alleine auf und ab und spuckten auf den Boden. Unwin roch Bratwürste, sah den Rauch über den Grillrosten, der sich wie graue Fäden durch die Regenwand zog.
    «Sie hassen die Agentur», sagte Miss Greenwood. «Aber in meiner Begleitung sind Sie sicher, solange ich das will.»
    Sie gab sich kaum Mühe, die Drohung zu verschleiern – dass Unwin nämlich ebenso ihr Gefangener wie ihr Begleiter war. Und hier, mitten in der Höhle, von der aus Hoffmann jeden Einzelnen seiner Handlanger und Gauner rekrutiert hatte, wusste er, dass er sie brauchen würde. Wie viele von den Übriggebliebenen, die noch hier waren, waren dank des Einschreitens der Agentur schon einmal festgenommen worden? Wahrscheinlich mehr, als zu zählen ihm lieb war. Er biss die Zähne aufeinander und versuchte nicht bitter zu klingen, als er sagte: «Diese Geschichte, die Sie mir erzählt haben, über die offenen Fenster und die Rosen. Sie kannten den Grund dafür doch von Anfang an, oder?»
    «Ich war nicht die Einzige, die nicht mit offenen Karten gespielt hat, Detektiv Unwin. Es war Ed Lamech, den ich aufsuchen wollte, wissen Sie noch?»
    «Aber mich wollten Sie dort im
Ratzekatz
haben, stimmt’s?»
    «Ich brauchte jemanden, der mir die Augen ersetzen konnte.»
    «Was glaubten Sie denn, würde ich sehen?»
    «Seltsame Dinge», erwiderte sie. «Den Anfang einesgroßen und schrecklichen Verbrechens. Vielleicht Hoffmann selbst.»
    «Und einen Mord.»
    Einen Moment lang geriet Miss Greenwood aus dem Gleichgewicht, und Unwin packte sie am Ellbogen, um sie zu stützen. Sie beugte ein paar Mal ihr krankes Bein. «Mord?», fragte sie.
    «Samuel Pith. Die Rooks haben ihn erschossen.»
    Sie schaute weg. «Das ist furchtbar. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sam war immer ein aufgeblasener Typ. Und er kannte die Risiken. Aber letztendlich war er unschuldig. Anscheinend ändern sich allmählich die Regeln.»
    «Es gibt Regeln?»
    «Die Agentur ist nicht das einzige Unternehmen, das Disziplin verlangt, Detektiv Unwin. Nun sagen Sie mir doch, was letzte Nacht geschehen ist.»
    «Sie haben ein oder zwei Lieder gesungen», sagte Unwin.
    Sie blieb stehen und wandte sich ihm zu. Unter dem Schirm war ihr Gesicht ganz nah. «Sie klingen wie ein Detektiv», sagte sie. «Dabei fing ich gerade an, Sie zu mögen.»
    Einige der Übriggebliebenen waren ihnen gefolgt und lungerten jetzt an der Ecke des Spiegelkabinetts herum. Es war vielleicht etwa ein Dutzend oder bloß ein paar wenige, die in Begleitung ihrer verzerrten Spiegelbilder zu einer größeren Gruppe wurden. Sie bauten sich mit verschränkten Armen vor ihnen auf und beobachteten sie.
    «Was wollen Sie wissen?», fragte Unwin.
    «Zuallererst einmal, was Sie hier eigentlich machen.»
    «Ich will die Rooks treffen.»
    «
Kein Mensch
will die Rooks treffen, Detektiv Unwin. Als sie damals mit dem Wanderzirkus herkamen, waren dasliebe kleine Jungs. Aber damals waren sie auch noch miteinander verwachsen. Dann bezahlte Enoch ihnen die Operation, sie fingen an, getrennte Wege zu gehen, aber es hat sie auch in anderer Hinsicht verändert.»
    «Was meinen Sie?»
    «Sie haben etwas verloren», sagte Miss Greenwood. «Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll. ‹Gewissen› trifft es wohl nicht ganz. Manche Leute tun grausame Sachen, aber die Rooks sind die Grausamkeit in Person, Ungeheuer zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und sie schlafen nie.»
    «Niemals?»
    «In den letzten siebzehn Jahren jedenfalls nicht.»
    Unwin fand, dass das einiges erklärte, aber er war sich nicht sicher, was. «Sie haben auch schon lange nicht mehr geschlafen», meinte er.
    «Das ist etwas ganz anderes. Die Rooks führen nur das aus, was ihr Herr und Meister von ihnen verlangt. Aber jetzt möchte ich, dass Sie mir erzählen, was gestern Nacht passiert ist.»
    Als er zögerte, drehte sie sich um und gab den Männern beim Spiegelkabinett ein Zeichen. Sie traten ein paar Schritte vor und ihre Spiegelbilder zuckten und funkelten. Sivart hätte vielleicht gewusst, wie er hier wieder herauskam, doch Unwin nicht.
    «Ich werde Ihnen erzählen,

Weitere Kostenlose Bücher