Handbuch für Detektive - Roman
langsam die Pistole sinken.
«Eins plus eins ergibt nicht eins», sagte Jasper.
«Nein», stimmte ihm Unwin zu. «Der Mann, den ihr da habt, ist ganz wie ich. Oder vielleicht bin ich so wie er. Wir kennen uns nicht besonders gut, aber ich glaube, ich verstehe ihn. Wir waren beide mal Schreiber. Jetzt weißt du, warum ich hierherkommen musste, um nach ihm zu suchen.»
Jasper schien darüber nachzudenken.
«Ich werde ihn jetzt hinaustragen», sagte Unwin. «Ich werde dich nicht bitten, mir zu helfen. Ich werde dich auch nicht bitten, mir die Tür aufzumachen. Ich werde dich nicht mal bitten, mich nicht zu erschießen, aber wenn du es nicht tust, dann gehe ich davon aus, dass du mich verstehst, und dafür danke ich dir.»
Unwin hob Moore hoch. Er achtete darauf, weder weitere Bücher umzustoßen noch Jasper anzuschauen, und schleppte den Mann langsam zur Tür. Dort legte er Moore ab und nahm seinen Schirm. Der zitterte in seiner Hand.
Genau in diesem Moment ging die Tür auf, und Josiah kam herein, in der Hand sein Klemmbrett. Er nahm seinen Hut nicht ab und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er schaute Unwin an, dann Moore, dann seinen Bruder. Schließlich legte er sein Klemmbrett auf den Tisch und flüsterte etwas in Jaspers Ohr.
Das Feuer im Kohleofen loderte auf, und Unwin hatte das Gefühl, dass es in dem Zimmer plötzlich heißer geworden war. Moore begann im Schlaf zu murmeln. Die Muskeln an seinen mageren Armen zuckten, und er glitt auf den Boden zurück, als Unwin seinen Griff lockerte.
Jasper kam näher und sagte: «Mein Bruder hat mir geraten, ich soll dir raten, ganz still zu halten.» Mit diesen Worten hob er die Pistole über seinen Kopf und schlug kräftig zu. Mit dem Schlag kam der Schlaf – Schlaf und ein überaus seltsamer Traum.
In dem Traum stand Unwin mit dem Kopf an einen Baum gelehnt, die Hände vors Gesicht gelegt, und zählte laut. Wenn er mit dem Zählen fertig war, musste er ein paar Leute suchen gehen, die sich vor ihm versteckten. Seine Sockenwaren nass, weil er ohne Schuhe durch das Gras gelaufen war.
Er stand auf einem Hügel in der Nähe eines kleinen Häuschens, und am Fuße dieses Hügels lag ein Teich. Das Haus war das, welches Sivart in seinen Berichten erwähnt hatte, in dem er wohnen wollte, wenn er im Ruhestand war.
«Fertig», rief Unwin, doch das Wort fiel wie ein Stein in den Teich und sank bis auf den Grund. Über der Wasseroberfläche hing eine Schaukel von einem Baum herab, und sie wackelte, als wäre gerade jemand abgesprungen. Das, dachte Unwin, war keine Einzelheit. Das war ein Hinweis.
Am Fuße des Hügels, hinter einer dichten Brombeerhecke, stieß er auf Fußabdrücke im Schlamm. Er folgte ihnen am Rande des Teiches entlang und dann auf einen Pfad, der in den Wald hineinführte. Mit den Füßen schob er beim Gehen rote und gelbe Blätter beiseite. Mitten auf einer Lichtung waren die Blätter höher geschichtet als sonstwo und türmten sich gerade hoch genug, damit sich ein kleiner Mensch darin verstecken konnte.
Unwin roch etwas Brenzliges. Eine dünne Rauchfahne stieg von den Blättern auf, und eine brennende Zigarrenspitze lugte hervor. Er hockte sich daneben auf die Knie und räumte ein paar Blätter beiseite, bis er das Gesicht eines Jungen freigelegt hatte. Der Junge blinzelte Unwin an, nahm dann die Zigarre aus dem Mund und sagte: «Okay, Charlie, du hast mich gefunden.»
Der Junge setzte sich auf und wischte sich die übrigen Blätter vom Körper und von seinem grauen Regenmantel. Dann stand er auf und stülpte sich den Hut auf den Kopf. «Ich helf dir, die anderen zu finden», sagte er.
Unwin folgte dem Jungen den Waldweg entlang. Seine Füße wurden langsam kalt. «Detektiv Sivart?», fragte er.
«Ja, Charlie», sagte der Junge.
«Ich kann mich nicht mehr an den Namen des Spiels erinnern.»
«Es ist ein altes Spiel», sagte der Junge. «Älter als Schach. Älter als Flüche und Schuhcreme. Ist egal, wie du es nennst, solange du weißt, wie man es spielt. Alle sind dabei, außer einem, und der ist es dann. Kapiert?»
«Detektiv Sivart?»
«Ja, Charlie?»
«Ich bin dieser ‹eine›, stimmt’s?»
«Und schnell bist du auch», sagte der Junge.
Sie standen nebeneinander am Ufer des Teichs, der Junge paffte an seiner Zigarre. Oben im Häuschen hatte jemand das Radio angeschaltet. Unwin konnte die Musik hören, aber den Text verstand er nicht. Hinter dem Hügel ging die Sonne unter.
«Irgendein Geburtstag», seufzte der Junge. «Also,
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