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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wenn man einen Menschen von seinem Wecker trennt, was dann? Wenn man den Körper seinen eigenen inneren schläfrigen Weckmechanismen überlässt? Dann erkennt er vielleicht beim Aufstehen –
wenn
er aufsteht – sich selbst nicht mehr, ebenso wenig wie das alltägliche Drumherum. Ein Hut ist eine Schlange ist eine Lampe ist ein Kind ist ein Insekt ist eine Wäscheleine voller Telefone. Das war die Welt, die Unwin beim Erwachen vorgefunden hatte.
    Während er dem Läuten lauschte, fing ein anderer Wecker an zu klingeln, dann noch einer und noch einer, und bald bimmelten tausend und mehr Wecker auf einmal, ein Chor, der auch den tiefsten Schläfer geweckt hätte. Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war genau acht Uhr. Um diese Uhrzeit hatten viele in der Stadt aufstehen wollen. Stattdessen hatten sie ihm eine Möglichkeit verschafft, unbemerkt zum Ruderboot zu kommen. Das Quietschen seiner Schuhe war nichts im Vergleich zu dieser ohrenbetäubenden Proklamation des Morgens.
    Die Füße seines schlafenden Gefährten schleiften mit lautem Rumpeln über den Boden, während er rannte, über seinem Kopf hüpfte der geöffnete Schirm. Er lehnte sich andie Reling, hievte Moore hoch und hinüber. Der alte Mann landete hart auf den Planken, und das Ruderboot bebte unter der Erschütterung. Einer von Moores Armen fiel ins Wasser, und sein geschundenes Gesicht drehte sich in den Regen empor.
    Josiah schaute herüber; offenbar hatte er gespürt, wie sich die Reling unter Unwins Gewicht bewegte. Er warf seine Zigarette ins Wasser und kam auf Unwin zugelaufen, mit einem Ausdruck gelinder Enttäuschung auf dem Gesicht.
    Unwin hangelte sich auf die Reling hoch und klappte seinen Schirm zusammen. In seiner Hast blieb er mit dem Griff in seinem Ärmel hängen, und der Schirm ging noch einmal auf. Der Wind zerrte daran, und Unwin stürzte in Richtung Lastkahn.
    Josiah packte ihn am Kragen und schleuderte ihn aufs Deck, wobei sich sein Mantel im Regen öffnete, während er auf Unwin fiel. Die Hitze, die der Mann abgab, war unglaublich – Unwin hatte das Gefühl, regelrecht den Dampf über Rooks Rücken aufsteigen zu sehen. Josiah schob eine seiner gewaltigen Pranken unter Unwins Kopf, als wollte er ihn wie auf ein Kissen betten, und presste die andere flach auf sein Gesicht. Seine Hand war trocken. Er hielt Unwin Nase und Mund zu und nahm die Hand nicht mehr weg. «Und jetzt werden wir beide ganz, ganz still», sagte er.
    Um sie herum läuteten die Wecker – einige verstummten, wenn andere anfingen. Das Klingeln vermischte sich mit dem Klingeln in Unwins Ohren, und eine Dunkelheit erhob sich um ihn herum, als komme sie direkt aus dem Meer. Ihm schien, als stünde er im Dunkeln auf einer Straße. Kinder hatten mit Kreide etwas auf den Gehsteig gezeichnet, aber hier gab es keine Kinder. Es war die Allee des Verlorenenund des Geheimnislosen: leere Wohnblocks bis auf den Grund der Welt.
    Detektiv Pith trat aus dem Schatten und stand im Lichtkegel einer Straßenlaterne. «Papier und Tauben, Unwin. Es geht alles um Papier und Tauben. Wir werden dieses verdammte
Handbuch
noch einmal neu schreiben müssen.»
    «Detektiv Pith», sagte er. «Ich habe gesehen, wie die Sie erschossen haben.»
    «Ach, Quatsch», sagte Pith. Er nahm seinen Hut ab und hielt ihn sich vor die Brust. Oben auf dem Hut war ein Einschussloch. «Verdammt, Unwin!», sagte er. «Machen Sie was!», rief er, und als er den Hut wegnahm, war das Hemd blutbedeckt.
    Unwin versuchte, die Wunde mit der Hand zuzuhalten, doch es hatte keinen Sinn; das Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor und tropfte überallhin.
    Als sich die Dunkelheit lichtete, war das Blut immer noch da, strömte über Unwins Arme und seine Brust. Doch es war nicht das Blut von Detektiv Pith. Miss Greenwoods Dolch war wieder in seinen Händen aufgetaucht – er hatte ihn, ohne nachzudenken, eingesteckt –, und jetzt bohrte sich die Klinge tief in Josiahs Brust. Unwin hatte ihn erstochen.
    Josiah nahm die Hand von Unwins Gesicht und setzte sich neben ihn auf den Boden. Er starrte auf den Griff der Stichwaffe hinab, die zwischen dem dritten und dem vierten Hemdknopf steckte.
    Unwin ließ sich auf die Knie nieder. Er wollte nach dem Messer greifen, hielt dann aber inne. Hatte er im
Handbuch
gelesen, dass das Herausziehen der Waffe alles nur noch schlimmer machte? «Nicht bewegen», sagte er.
    Josiah schloss die Augen. Von unten kam das Surren einesMechanismus, und plötzlich begann sich die Ladefläche des Kahns

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