Handbuch für Detektive - Roman
Agentur», sagte sie. «Ihr Chef.»
Unwin war nie auf die Idee gekommen, dass die Agentur einen Aufseher hatte und eine einzige Person für ihre Leitung verantwortlich sein könnte. Wo, fragte er sich, war dann das Büro dieses Mannes?
Miss Greenwood hatte offenbar gesehen, dass seine Überraschung nicht gespielt war. «Er und ich … wir kennen uns», sagte sie. «Hoffmann ist gefährlich, Mr. Unwin. Aber Sie sollten wissen, dass Ihr Arbeitgeber noch viel schlimmer ist. Was auch immer geschieht, er darf das mit meiner Tochter nicht herausfinden.» Eine Welle erfasste den Lastkahn,und sie schwankte und verlor beinahe das Gleichgewicht auf ihrem schlimmen Bein. Unwin wollte sie stützen, doch sie schob ihn weg. «An Steuerbord ist ein Boot festgebunden», sagte sie. «Gehen Sie, nehmen Sie es.»
Er zeigte auf Moore. «Werden Sie ihn auch losschneiden?»
«Es ist keine Zeit dafür», sagte sie. «Die Rooks sind nicht weit weg.»
Er streckte die Hand aus. «Dann geben Sie mir das Wurfmesser. Ich mache es selbst.»
Miss Greenwood zögerte, hielt ihm dann den Messergriff hin. «Ich hoffe, diese Rettungsaktion gelingt Ihnen besser als die erste», sagte sie.
Unwin ging auf die Knie und fing mit dem Schneiden an. Diese Seile waren dicker als seine, und er kam nur langsam voran.
«Ich wollte nicht in die Stadt zurück», sagte Miss Greenwood. «Für mich war das alles hier erledigt. Die Agentur, Hoffmann; den Unterschied kann ich kaum noch benennen. Aber ich musste zurück.»
Unwin schnitt das letzte Seil um Moores Handgelenke durch und fing an, auch seine Fußknöchel zu befreien.
«Diese Wecker hier erinnern mich an eine Geschichte, die ich früher immer meiner Tochter vorgelesen habe», sagte sie. «Die stand in ihrem Lieblingsbuch, einer uralten Schwarte mit kariertem Einband. Es war die Geschichte einer Prinzessin, die von einer alten Hexe verzaubert worden war – oder war es eine Fee? Jedenfalls besagte der Fluch, dass sie – vielleicht für immer – einschlafen würde, wenn sie von einer Spindel gestochen wurde. Und so taten der König und die Königin das, was alle guten Eltern getan hätten: Sie ließen alle Spindeln im Lande zusammentragen und verbrennen,und alle Bewohner des Landes mussten lange Zeit mit abgetragenen Kleidern vorliebnehmen.»
Jetzt fiel auch das letzte Stück Seil von Moore ab. Unwin legte sich die Arme des Museumswärters über die Schulter und hievte ihn mit Miss Greenwoods Hilfe auf seinen Rücken. Sie gab ihm den Schirm in die Hand, und einen Moment lang standen sie da und schauten sich an.
«Wie ist die Geschichte ausgegangen?», fragte er.
Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. «Natürlich hatten sie eine Spindel übersehen.»
Unwin stapfte in Richtung Steuerbordseite, wo ein schmaler Trampelpfad durch die Weckerhalden führte. Bei jedem seiner schwerfälligen Schritte über das glitschige Metalldeck quietschten seine Schuhe. Am liebsten hätte er sie ausgezogen, aber es lagen überall Scherben von zerbrochenen Zifferblättern herum.
Oft blieb er stehen, um Atem zu holen und sich Moores schlaffen Körper auf seinem Rücken zurechtzuschieben. Dann endlich erblickte er das Ende des Lastkahns. Wie Miss Greenwood versprochen hatte, dümpelte das kleine Beiboot auf den grüngrauen Wellenbergen. Doch ganz in der Nähe stand einer der Rooks, der sich über das Wasser beugte, wobei er seinen großen linken Stiefel auf der Reling abgestützt hatte: Josiah. Er blickte über die Bucht zur dunstverhangenen Stadt hinüber und rauchte eine Zigarette, während der Regen über die Krempe seines Hutes schwappte, der fast so groß wie Unwins Regenschirm war.
Unwin glaubte, er könne das Boot erreichen, ohne von Josiah entdeckt zu werden, doch seine Schuhe würden ihn verraten. Also ging er in die Hocke und wartete, bis Josiah mit dem Rauchen fertig war.
Genau in diesem Moment begann irgendwo mitten in dem Weckerhaufen einer der Zeitmesser zu klingeln, der sinnlose Versuch, einen Schläfer zu wecken, der über eine Meile entfernt war. Für Unwin war das Geräusch wie ein Haken, der sich in sein Herz bohrte: Irgendwo in den düsteren Winkeln der Nacht wird die Welt zum Trümmerhaufen, und wir vertrauen darauf, dass eine kleine Glocke alles wieder richten kann. Eine Feder wird gelöst, ein Zahnrad dreht sich, ein Klöppel setzt sich in Bewegung, und da ist das Glas Wasser, das man an seinem Bett stehen hat, und hier die Schuhe, die man heute während der Arbeit tragen will. Doch
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