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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und reichte ihm seinen Schirm. «Den könnten Sie vielleicht brauchen.»
    Moore nahm ihn. «Wir sind ein gutes Team», sagte er.
    Bevor Unwin antworten konnte, schloss der Mann in dem roten Strampelanzug die Tür, und das Taxi rollte langsam den Block entlang davon. Moore drehte sich noch einmalauf seinem Sitz um, schaute aus dem Rückfenster und hob die Hand zum grimmigen Gruß.
    «Und die Wahrheit ist unser Geschäft.»
     
    Mittlerweile war es so finster wie um Mitternacht, obwohl es laut Unwins Armbanduhr gerade mal elf Uhr morgens sein musste. Der Sturm war schlimmer geworden, und tintenschwarze Wolken verdeckten auch den winzigsten Sonnenstrahl. Er zog den Mantel fester um seine Brust, während er weiterging, auch wenn er dafür seine Hand der Kälte aussetzen musste.
    Auf seinem Weg begegnete er an jedem Block Dutzenden von Schlafwandlern, doch sie beachteten ihn nicht, wenn er an ihnen vorbeikam. Einige, wie das Mädchen, das den Polizeiwagen gestohlen hatte, verwandelten die Stadt in eine Art Irrenhaus unter freiem Himmel. Ein Mann hatte sein gesamtes Mobiliar auf den Bürgersteig hinausgetragen und saß auf einer durchnässten Couch, zupfte nervös an seinem Bart und hörte Nachrichten aus einem stummen, ausgestöpselten Radio. Eine Frau in der Nähe schrie herum und stritt mit einer Person oben in einem Wohnblock, die Unwin weder sehen noch hören konnte – offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten in der Frage, wer für den verbrannten Braten verantwortlich war.
    Andere Schlafwandler rückten in kleinen Gruppen vor, wichen Unwin aus, wenn sie vorbeikamen. Sie schwiegen, ihre Augen waren offen, aber unergründlich. Sie gingen in östlicher Richtung, dorthin, wohin auch Moore gebracht wurde.
    Bis Unwin endlich in der Nähe seiner Wohnung angelangt war, waren seine Kleider völlig durchnässt, seine Hände jedoch sauber. Ein schwarzer Wagen der Agentur parkte amEnde des Blocks. Er legte die Hände an die Scheibe und versuchte hineinzuschauen, rechnete mit Screeds finsterem Gesicht, doch der Wagen war leer. Er kehrte zu seinem Wohnblock zurück, ging hinein und stieg in den fünften Stock hinauf.
    Seine Wohnungstür stand offen, der Ersatzschlüssel steckte im Schloss. Er schob ihn in die Tasche und ging hinein, wobei er die Tür hinter sich schloss. Als er die Küche betrat, blickte er schon wieder in die Mündung einer Pistole – diesmal seiner eigenen. Emily Doppels Augen waren halb geschlossen, doch zielen schien sie zu können. In der anderen Hand hatte sie ihre Brotzeitdose.
    Um sie auf die Probe zu stellen, ging Unwin in Richtung Schlafzimmer. Emily folgte ihm, immer die Waffe auf ihr Ziel gerichtet. Kurz zog er in Erwägung, ins Badezimmer zu gehen, um sich umzuziehen, doch wahrscheinlich wäre ihm Emily auch dorthin gefolgt. Deshalb zog er sich vor ihr aus und ließ die feuchten und blutigen Kleidungsstücke in einem Haufen auf dem Boden liegen. Splitterfasernackt fragte er sich, ob es in der Agentur Statute gab, die sich mit dem Verhältnis zwischen Detektiven und ihren Assistentinnen befassten, und ob er sie gerade verletzt hatte.
    Als er sich trockene Kleidung angezogen hatte, stellte er den Wecker, den er aus dem Beiboot mitgenommen hatte, auf seinen Nachttisch, überlegte es sich dann jedoch anders und schob ihn in seine Jackentasche. «Ich bin mir sicher, dass ich mich getäuscht habe, was Ihre Brotzeitdose anbelangt», sagte er zu Emily. «Das hier könnte meine letzte Chance sein, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.»
    Einen Augenblick später schien sie verstanden zu haben. Sie wedelte mit der Pistole, dirigierte ihn in die Küche, stellte dann die Dose auf den Tisch und klappte den Deckel auf.
    Drinnen lagen Dutzende von Zinnfiguren. Unwin stellte sie in Reih und Glied wie Soldaten, auf den Tisch. Doch es waren keine Soldaten – es waren Detektive. Einer kauerte mit einem Vergrößerungsglas am Boden, der andere sprach in ein Telefon, wieder ein anderer zeigte seine Dienstmarke. Einer stand genauso da wie Emily jetzt, den Arm ausgestreckt, die Pistole in der Hand. Wieder ein anderer sah aus wie Unwin in seiner gegenwärtigen Haltung, gebückt, mit den Händen auf den Knien und einem Ausdruck gelinden Erstaunens auf dem Gesicht.
    An den Figürchen haftete nur noch stellenweise Lack; offenbar waren sie im Laufe der Jahre oft benutzt worden. Unwin stellte sich ein rothaariges kleines Mädchen vor, das, allein auf dem Spielplatz, im Schneidersitz im Gras saß, von seinen erträumten Agenten

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