Handbuch für Detektive - Roman
sicher?», fragte Unwin. «Beschreiben Sie sie.»
«Sie haben recht», meinte Moore, die Augen immer noch geschlossen. «Sie war jünger als Miss Greenwood. Aber genauso hübsch. Und sehr still, als hätte sie das Gefühl, jemand würde sie belauschen. Braune Haare unter einer grauen Mütze. Graue Augen, fast silbern, wie Spiegel. Sie war wetterfest angezogen. Ich glaube, sie trug einen karierten Mantel.»
Der Akt des Erinnerns hatte Moore in einen Zustand dumpfer Benommenheit versetzt. Unwin stand da, die Hand immer noch auf seiner Schulter. Die Frau im karierten Mantel war in den Traum des alten Schreibers eingebrochen und hatte ihm das gezeigt, was er nicht vergessen konnte. Sie hatte ihm Sivarts gravierendsten Fehler offenbart.
Es war keine große Überraschung, dass Moore sie mit Cleopatra Greenwood verwechselt hatte. Jetzt, da Unwin genauerdarüber nachdachte, lag die Ähnlichkeit auf der Hand. Die Frau im karierten Mantel war Miss Greenwoods Tochter. Und sie wusste mit ziemlicher Sicherheit «Bescheid». Doch was hatte sie davon, den Betrug im Stadtmuseum aufzudecken? Oder davon, eine Ausgabe des
Handbuchs
zu stehlen und sie Sivart zu geben?
Moores Augen klappten auf. «Da kommt unsere Fahrgelegenheit», sagte er.
Ein Taxi näherte sich aus einer schmalen Seitenstraße, die ein Stück vor ihnen lag. Moore trat unter dem Regenschirm hervor, um es mit beiden Händen herbeizuwinken. Das Taxi machte einen Schwenk zur Bordsteinkante und blieb im Leerlauf brummend stehen. Seine karierte Karosserie bebte.
«Wir fahren zu mir», sagte Moore zu Unwin, «und planen Ihre nächsten Schritte.»
Der Taxifahrer war ein schlaksiger Mann mit schmalem Gesicht. Er kurbelte das Fenster ein paar Zentimeter hinunter und beobachtete sie von der anderen Straßenseite aus. Unwin zog seinen Mantel enger um sich, damit man die Blutflecken nicht sah.
«Sind Sie frei?», rief Moore.
Der Fahrer ließ sich Zeit, um die Frage zu verdauen, wobei er Moores Blick auswich. Schließlich brummte er: «Frei.»
Moore nickte heftig und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. Er zog ein paarmal fest daran, doch die Tür blieb zu. «Die ist abgeschlossen», sagte er.
Der Fahrer fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und sagte: «Abgeschlossen.»
«Nehmen Sie uns mit?», wollte Moore wissen. «Ja oder nein?»
«Nein», sagte der Fahrer.
Unwin hielt sich den Schirm vors Gesicht und blickte sich rasch nach einem Fluchtweg um. Hatte der Taxler ihn erkannt? Er fragte sich, ob die Zeitungen wohl das Foto von seinem Schreiber-Dienstausweis benutzt hatten.
Moore blieb dennoch hartnäckig. «Warum haben Sie denn angehalten, als ich Ihnen winkte, wenn Sie gar nicht vorhaben, uns mitzunehmen?»
Der Fahrer murmelte etwas Unverständliches, griff dann nach hinten zum Entriegelungsknopf und zog ihn nach oben. Moore riss die Tür auf und rutschte hinüber. Unwin zögerte, doch Moore bedeutete ihm, es ihm nachzutun, weshalb er seinen Schirm zuklappte und einstieg.
Moore gab eine Adresse an, die nur ein paar Blocks von Unwins Wohnung entfernt war, und lehnte sich zurück. «Schon bald nachdem ich das
Handbuch
fertiggeschrieben hatte», sagte er, «wurde beschlossen, dass nur einige speziell ausgebildete Agenten Zugang zu den Geheimnissen des achtzehnten Kapitels erlangen sollten, weshalb eine gekürzte Version für den allgemeinen Gebrauch gedruckt wurde. Damals standen in der Agentur gewaltige Veränderungen bevor: ein neues Gebäude, die Einrichtung der Archive. Die Kontrollen mussten verstärkt werden. Jede Ausgabe der Originalfassung wurde katalogisiert. Doch der Aufseher wusste genauso gut wie ich, dass man diese eine Ausgabe des Buches nicht so leicht aus dem Verkehr ziehen konnte.»
Moore tippte sich an den Kopf und warf Unwin einen bedeutungsvollen Blick zu.
«Aber Sie hätten doch niemals das Vertrauen der Agentur missbraucht.»
«Natürlich nicht. Ich war von Anfang an bei der Organisation dabeigewesen, als wir uns zu vierzehnt ein Büro teilten,das von einem Kohleofen geheizt wurde. Doch seither hatte sich die Welt verändert. Der Gegner hatte sich verändert. Caligaris Wanderzirkus war in die Stadt gekommen, und mit ihm der ruchlose Bauchredner Enoch Hoffmann. Die alten Grenzen waren bereits durchlässig geworden, und etwas zu wissen, hieß, es aufs Spiel zu setzen. Der Aufseher hatte mir seine tiefsten Geheimnisse diktiert, und er wusste, dass Hoffmann, wenn er nur wollte, das Schloss an meinem Gehirn so schnell aufbrechen konnte,
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