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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Unwin musste sich tief bücken, um die letzten paar Stufen zu nehmen. Bei Nummer zweiundfünfzig hörte die Treppe auf.
    Hier befand sich eine schlichte Holztür, die nicht mehr als eins zwanzig hoch war. Dahinter war ein Geräusch zu hören – ein wildes, unablässiges Klappern, als würden viele Menschen auf einmal Schreibmaschine schreiben. Unwin tastete nach einem Türknauf, konnte jedoch keinen entdecken. Als er gegen die Tür drückte, öffnete sie sich leise. Gebückt trat er hindurch, und weil die Decke so niedrig war, musste er auch auf der anderen Seite den Kopf einziehen
    Der Raum war kaum größer als der Schreibtisch in seinem eigenen Büro, doch die Wände waren mit dunklem Holz verkleidet, das im Lichtschein eines Kandelabers schimmerte. Wo Unwin eine Legion von Unterschreibern erwartet hatte, erblickte er eine einzige winzige Frau mit silbrigem Haar, das sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt hatte. Sie saß an einem Schreibtisch mitten im Zimmer. Gebückt, ein tölpelhafter Riese in einer viel zu kleinen Höhle, stand Unwin über ihr, doch sie ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn überhaupt bemerkt hatte. Sie tippte schneller als jeder andere Mensch, den Unwin jemals auf einer Schreibmaschine hatte schreiben sehen – schneller als Emily, sogar schneller als der Mann mit dem blonden Spitzbart. Der Klang einer Taste war von dem der folgenden nicht zu unterscheiden, und die Glocke, die erklang, wenn der Wagen beim Ende einer Zeile zurückbefördert wurde, hörte gar nicht mehr auf zu läuten.
    «Miss Burgrave?», sagte Unwin.
    Die Frau hielt beim Tippen inne und spähte ihn an, die Fältchen um ihre Mundwinkel und ihre Augen waren starr vor Konzentration. Sie trug roten Lippenstift, und ihre weichen und schlaffen Wangen hatten die frische Farbe von rosa Rosen. «Oh, Sie sind’s», sagte sie und begann schon wieder zu tippen.
    Ihre kleinen Hände waren wie ein hundertfingriger Wirbel. Das Papier wurde von einer einzigen großen Rolle eingezogen, die vorn an ihren Schreibtisch montiert war und über der eine zweite Rolle angebracht war. Dieses System ermöglichte es ihr, ununterbrochen zu tippen, weil sie das Papier nicht blattweise einspannen musste.
    Unwin beugte sich hinunter, um zu lesen, was sie da schrieb, doch wieder hielt Miss Burgrave inne und starrte ihn so empört an, dass er den Kopf rasch zurückzog und dabei an die Decke stieß.
    «So geht das nicht», sagte Miss Burgrave. «Natürlich wissen Sie, was es heißt, einen Zeitplan einzuhalten, weshalb ich Sie nicht unnötig zurechtweisen werde, was wiederum einer überflüssigen Wiederholung bereits bekannter Regeln gleichkäme, die ich bereits riskiere zu brechen, indem ich überhaupt mit Ihnen spreche, ebenso dadurch, dass ich dieses Risiko registriere und wiederum, indem ich registriere, dass ich es registriert habe. So könnten wir ewig fortfahren. Wollen Sie nicht nachgeben? Sind Sie wirklich so halsstarrig? Ich stelle diese Fragen rhetorisch und setze somit die Bedeutung meiner eigenen Rede herab.»
    «Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann, Miss Burgrave, aber wenn Sie mir vielleicht erlauben würden, die Archive zu besu …»
    «
Wenn
und
vielleicht»
, wiederholte sie, und ihre Fältchen vertieften sich. «Mister Unwin, in diesem Stockwerk werdenkeinerlei Rätsel und Mysterien geduldet. Bloß weil jener weibliche Kindskopf sich in die Knie zwingen ließ und Ihnen Zugang durch die Falltür gewährte, glauben Sie jetzt, das ermächtige Sie zu weiteren Grenzüberschreitungen – auch noch mit meiner Unterstützung.»
    Hier blieb Unwin stumm. Ohne es zu wollen, blickte er erneut auf das Manuskript, das sich vor ihm auf dem Schreibtisch türmte.
    «Tatsachen», erklärte Miss Burgrave. «Nackte, tote Tatsachen, denen man alle Fragen aus dem Leib geprügelt hat, sodass jegliche Nachforschung im Sande verläuft. Antworten und die Antworten auf Antworten, das Ende der Straße, vielleicht der Welt. Ja, genau so fühle ich mich bisweilen, als wäre die Welt bereits an ihrem Ende angelangt, als wären vor jedem Fenster die Rollläden geschlossen, die Sterne zu kleinen schwarzen Perlen heruntergebrannt, als hätte der Mond die Schwindsucht und als wäre das ganze Leben nur noch ein armseliges Häufchen Asche. Und doch setze ich meine Arbeit fort und versuche zu erklären, was geschehen ist.»
    «Wem zu erklären?»
    «Ach, jetzt kommen wir der Sache schon näher.» Miss Burgrave erhob sich von ihrem Stuhl, und Unwin sah, dass sie

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