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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sie geschickt. Das ganze Archiv könnte vor die Hunde gehen.»
    Sie hielt inne und blickte zum Rollladen hoch, als könnte sie, wenn sie durch die Lamellen hindurchschaute, das Archiv in Flammen sehen, könnte das verkohlte Papier vom Himmel fallen und die Säulen aus Hängedateien unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen sehen. Unwin fragte sich, ob sie wusste, dass die Welt außerhalb der Agentur bereits in Auflösung begriffen war.
    «Warum wurde sie befördert?», fragte Unwin. «Hat jemand Sie darüber informiert?»
    Miss Benjamin blinzelte, um ihre Schreckensvision zu verscheuchen. «Ich glaube nicht, dass das hier etwas zur Sache tut», sagte sie und goss mehr Whiskey in die Becher. «Sie wissen so gut wie ich, dass Detektive von den Archiven ausgeschlossen sind, Mr. Unwin. Nur Boten steht es frei, sich zwischen den Stockwerken frei zu bewegen. Und unter gar keinen Umständen sollte ein Detektiv mit einer Hauptschreiberin Whiskey trinken. Was machen Sie also hier?»
    Beantworten Sie Fragen mit Gegenfragen
, rief er sich ins Gedächtnis – das hatte er im
Handbuch
gelesen. «Wie viele Hauptschreiber gibt es?»
    Miss Benjamin lächelte. «Ich bin durchaus gewillt, Ihnen zu helfen, Herr Detektiv. Ich sage nur, es gibt einen Preis dafür. Also, was genau haben Sie da draußen in meinem Archiv gesucht?»
    Unwin stellte zu seiner Überraschung fest, dass er die Unverblümtheit der Hauptschreiberin mochte, doch er war sich noch nicht sicher, ob er ihr trauen konnte. «Ich suche nach meinen alten Fallakten», sagte er. Das war nicht gelogen – diese Akten zu sichten, wäre wirklich interessant gewesen, besonders nach all dem, was er seit seiner ersten Begegnung mit Edwin Moore erfahren hatte.
    Miss Benjamin lachte, und vorm Kabuff wurde mit den Füßen gescharrt.
    «Überrascht Sie das?», fragte Unwin. «Ich habe viele Fallakten geschrieben. ‹Das älteste Mordopfer der Welt›, ‹Die drei Tode des Colonel Baker›.»
    «Ja, ja», sagte Miss Benjamin. «Aber Sie reden von abgeschlossenen Fällen, Mr. Unwin, von Lösungen. Das hier» –sie deutet auf die Zettelkataloge ringsum und folglich auch auf die Hängedateien draußen –, «das hier sind die Rätsel.»
    «Nur die Rätsel?»
    «
Nur
die Rätsel! Was haben Sie denn erwartet – dass alles zusammen in ein Archiv gequetscht wird? Das wäre ein organisatorischer Albtraum. Ich bin Hauptschreiberin der Abteilung Rätsel, und die Unterschreiber hier sind nur mit Rätseln vertraut. Deshalb wissen sie auch nicht, was ein Detektiv ist – das brauchen sie nicht. Die Irrungen und Wirrungen der Detektivkunst sind nicht Teil ihrer Arbeit. Soweit sie wissen, kommen die Rätsel hierher und bleiben hier. Deshalb sind sie auch so nervös. Stellen Sie sich vor, wie es ist, nur die Fragen zu haben, aber keine Antworten.»
    «Das muss ich mir nicht vorstellen», sagte Unwin.
    «Drei.»
    «Bitte?»
    «Sie fragten mich, wie viele Hauptschreiber es gibt. Es gibt drei. Miss Burgrave, Miss Palsgrave und meine Wenigkeit. Miss Burgrave ist Hauptschreiberin der Abteilung Lösungen. Es ist ihr Archiv, in das Sie eindringen wollten, nicht meins.» Sie senkte die Augenlider und fügte hinzu: «Obwohl es gar nicht so schlimm ist, jemanden zu haben, mit dem man reden kann. Der durchschnittliche Unterschreiber kennt nicht mal den Unterschied zwischen einer Frau und einem Haufen Büroklammern.»
    Unwin nippte an seinem Whiskey – so wenig, wie nur möglich, weil er schon ein bisschen beschwipst war. «Was ist mit Miss Palsgraves Archiv?», fragte er. «Was wird dort aufbewahrt?»
    «Ich möchte wirklich wissen, warum ein Schreiber, mag er auch befördert worden sein, seine eigenen Akten einsehenwill. Kennt ihr Leute denn eure Fälle nicht in- und auswendig?»
    «Doch», sagte Unwin. «Aber es ist weniger eine Frage des Inhalts als eine der Querverweise.»
    Darauf erwiderte sie nichts. Er würde ihr wenigstens teilweise die Wahrheit sagen müssen. «Die Fallakten sind als Lösungen kategorisiert, und zu Recht. Es sind die gründlichsten und umfassendsten Lösungen, die man sich vorstellen kann. Doch was, wenn ein Fehler aus irgendwelchen dunklen Beweggründen absichtlich in eine dieser Fallakten eingeschleust worden wäre? Was, wenn ein Aspekt der Lösung dadurch zum Rätsel würde? Was dann, Miss Benjamin?»
    «So etwas haben Sie doch bestimmt nicht getan.»
    «Doch, das habe ich durchaus, Miss Benjamin. Vielleicht sogar oft, allerdings ohne es zu merken. Ich glaube, dass ein Mann

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