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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ermordet wurde, um dieses Geheimnis zu wahren. Irgendwo in diesen Archiven befinden sich Rätsel, die als Lösungen durchgegangen sind, und deshalb gehören sie hierher in Ihr Archiv, Miss Benjamin. Und man enthält sie Ihnen bewusst vor. Unter normalen Umständen könnte ich mit Boten arbeiten, mir eine Fallakte nach der anderen hochbringen lassen, die Querverweise überprüfen und das Puzzle zusammensetzen. Aber das würde Zeit kosten. Und ich weiß nicht, ob ich den normalen Kanälen trauen kann. Werden Sie mir helfen, Miss Benjamin? Werden Sie mir den Weg ins Archiv der Lösungen zeigen?»
    Er war sich nicht sicher, auf was er sich da einließ, doch Moore hatte ihm gesagt, der Schlüssel zum Verständnis der Schallplatte liege hier in den Archiven. Wenn nicht gleich im ersten, dann eben im zweiten.
    Miss Benjamin stand auf, und Unwin sah, dass sie großwar, vielleicht einen Kopf größer als er. Sie verschränkte die Arme und setzte eine besorgte Miene auf. «Es gibt verschiedene Wege ins Archiv der Lösungen», sagte sie, «aber die meisten werden zu gefährlich sein.» Sie schob ihren Stuhl zur Seite und hob eine Ecke des zerschlissenen blauen Teppichs hoch. Darunter befand sich eine Falltür. «Dieser Durchgang ist nur der Benutzung durch die Hauptschreiber vorbehalten. Ich glaube nicht, dass außer uns dreien noch jemand weiß, dass er hier ist.»
    Sie hob einen Messingring an und zog die Falltür auf. Darunter wand sich eine Treppe spiralförmig in die Finsternis.
    «Danke», sagte er.
    Miss Benjamin kam einen Schritt auf ihn zu. Seit der Rollladen vor dem Fenster geschlossen war, war die Luft in dem Kabuff wärmer geworden, und Unwin fand das Atmen schwierig, besonders weil er mit jedem Atemzug das süßliche Whiskeyaroma von Miss Benjamins Lippen einsog.
    Sie sagte: «Ich weiß das ein oder andere über Detektive, Mr. Unwin. Ich weiß, dass Sie mit ein paar Worten mein Herz erobern könnten. Doch Sie sind einer von den Edelmütigen, stimmt’s?»
    Unwin widersprach ihr nicht, obwohl er bezweifeln mochte, dass das
Handbuch
jene wenigen Worte – wie auch immer sie lauteten – enthielt, die Miss Benjamin im Sinn hatte.
    «Was ist mit dem dritten Archiv?», erkundigte er sich. «Sie haben mir nichts über Miss Palsgrave erzählt.»
    Miss Benjamin trat einen Schritt zurück. «Das werde ich auch nicht», sagte sie. «Wir sind hier schließlich bei den Rätseln, und Miss Palsgraves Arbeit ist allein ihre Sache.»
    Unwin setzte seinen Hut auf und begann die Treppe hinabzusteigen.Schon auf gleicher Höhe war ihm Miss Benjamin groß vorgekommen, doch jetzt, da er bereits bis zur Taille im Boden versunken war, blickte er noch einmal auf und fand sie schrecklich und herrlich zugleich, eine baumlange, mürrische Götzengestalt in einem braunen Wollrock. «Auf Wiedersehen, Miss Benjamin.»
    Sie schraubte den Verschluss ihres Fläschchens zu und seufzte. «Passen Sie bei der neunten Stufe auf», sagte sie, und Unwin musste den Kopf einziehen, als sie die Falltür mit einem Fußtritt ins Schloss fallen ließ.
     
    Das einzige Licht auf der Treppe spendeten mehrere schummrige Lampen, die eifrig flackerten, als wollten sie eine codierte Nachricht übermitteln. Ein Geländer gab es nicht. Die Holzstufen knarzten, und Unwin tastete sich vorsichtig bei jedem Schritt vorwärts. Gaukelte ihm der Whiskey etwas vor, oder war das Treppenhaus wirklich so eng, wie es Unwin auf seinem Weg in die Tiefe vorkam? Oder hatte er immer schon an Klaustrophobie gelitten und bedurfte nur noch einer Erfahrung wie dieser, um es zu merken?
    Die neunte Stufe schien so trittfest zu sein wie alle anderen, doch er ließ sie aus, so, wie Miss Benjamin ihm geraten hatte. Unwin fand es schwierig, mit dem Zählen aufzuhören, wenn er erst einmal angefangen hatte. In der Tat war bei ihm auch das Schäfchenzählen ein unfehlbarer Weg in die Schlaflosigkeit – am Morgen hätte er stets ganze Weiden mit einer großen und laut blökenden Herde bevölkern können. Wie tief führte die Treppe eigentlich hinab? Vielleicht hatte Miss Benjamin ihn ja in ein geheimes Verlies gelockt. Möglicherweise hatte sie die Falltür über ihm geschlossen und längst eine Nachricht an Detektiv Screed geschickt – aber vielleicht hatte das auch Mr. Duden bereits getan.
    Hier unten waren die Lampen spärlicher gesät, und die Beleuchtung wurde immer schummriger. Er hoffte, Edwin Moore hatte gewusst, wovon er redete. War dem Gedächtnis des alten Mannes überhaupt zu trauen?

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