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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Harry’s?»
    Die Frau nestelte an den unebenen Perlen ihrer Kette.
    «Sarah», sagte er. «Da gibt es noch etwas. Ich möchte nur, dass du weißt …»
    «Hör auf. Darüber reden wir morgen früh.»
    «Sarah.»
    «Wir sehen uns dann morgen früh», sagte sie mit entschlossener Stimme.
    Lamech runzelte die Stirn und holte dann tief Luft durch die Nase. «Na gut», sagte er.
    Der Wind frischte auf; er brachte die kleinen Rüschen an Sarahs Badeanzug zum Flattern und spielte in den grauen Löckchen am Rand ihrer Badekappe. Sie blickte wieder aufs Meer hinaus. «Dieser Traum endet immer auf die gleiche Weise», sagte sie.
    «Wie denn?», wollte Lamech wissen.
    Sie war eine Weile still. «Edward, in der Kühlbox sind noch ein paar Reste. Ich muss jetzt gehen.» Sie stand auf und strich sich mit den Händen über ihre Hüften. Dann lief sie, ohne noch einmal zurückzuschauen, auf das Wasser zu, wobei ihre Perlenkette an ihrem Hals hin und her schwang. Jenseits der Horizontlinien waren Wolken aufgezogen, und das Meer sah kabbelig und dunkel aus.
    «Kommen Sie», murmelte Lamech. Er drehte sich um und begann auf das Strandhäuschen zuzugehen.
    Unwin blieb, wo er war, und schaute zu, wie Sarah flink ins Wasser ging. Als es ihr bis über die Knie reichte, machte sie einen Kopfsprung in die Fluten und begann zu schwimmen.
    «Kommen Sie», sagte Lamech noch einmal, als hätte er schon geahnt, dass Unwin noch stehen bleiben würde.
    Unwin klappte seinen Schirm zusammen, damit der Wind ihn nicht fortriss, und folgte Lamech eilig den Strand entlang. Er spürte, wie weich der Sand unter seinen Füßen war, doch seine Schuhe hinterließen keine Abdrücke darin.
    Lamechs Regenmantel bauschte sich und knatterte wie eine flatternde Fahne im Wind. Er steckte die Hände in die Taschen und zog den Mantel enger um sich. Er hatte seine Schultern hochgezogen und hielt den Kopf gesenkt. Er schaute nicht zurück.
    Doch Unwin blickte zurück. Er konnte Sarah nicht mehr ausmachen – sie war im Wasser verschwunden. Am Horizont bildete sich eine riesige Welle. Sie schäumte und brodelte und toste und ballte das Meer zusammen, während sie auf den Strand zurollte. Unwin beschleunigte seine Schritte, konnte jedoch den Blick nicht von der Welle abwenden. Mittlerweile war sie so hoch wie ein Haus, und ihr Brausen war lauter als das Rauschen des Verkehrs in den verstopften Straßen der Stadt. Möwen flogen kreischend über der Brandung. Im glatten Panoramafenster der breiten Wasserfront konnte Unwin Tiere schwimmen sehen – Fische und Seesterne und gewaltige, wogende Kraken. Sie verhielten sich so, als würde gar nichts Außergewöhnliches geschehen, als befänden sie sich immer noch in der Meerestiefe, statt auf das trockene Ufer zugetrieben zu werden. Der schwere, brackige Gestank ihrer salzigen Welt lag in der Luft.
    Lamech war an der verblichenen blauen Tür angekommen. Er öffnete sie, und Unwin folgte ihm auf die Gasse zurück, wobei er den Schirm über seinem Kopf aufspannte. Lamech ließ die Tür lange genug offen, um zuzuschauen, wie sich der Schatten der Riesenwelle wie eine Decke über den Strand legte. Dann schloss er sie.
    «Ich versuche nicht allzu oft, einen Blick in ihr Inneres zu werfen, wenn sie schläft», sagte er. «Das ist unser Berufsrisiko, dass wir zu viel über die Menschen erfahren, die wir lieben. Doch jedes Mal, wenn ich meiner Frau auf ihrem eigenen Territorium begegnet bin, sozusagen, hat es mich immer wieder erstaunt, wie gewaltig die Ereignisse sind, die sich dort abspielen. Ich muss zugeben, dass mir das ein wenig Angst macht.»
    Er setzte sich den Hut wieder auf und lief die Gasse hinunter.Unwin folgte ihm und kämpfte dabei gegen den dringenden Wunsch an, stehen zu bleiben und den Sand aus seinen Schuhen zu schütteln.

Es gibt nichts Besseres, um seine eigenen Motive und Neigungen zu verstehen, als einen Gegenspieler zu finden.
     
    Ihr Weg durch die abgewetzten, gepflasterten Straßen von Lamechs träumendem Ich wurde immer sonderbarer und umständlicher. Unter rostenden Feuerleitern zogen sie die Köpfe ein, krochen durch Tunnel, die nach Algen und feuchter Erde rochen, sprangen über Rinnsteine, aus denen der Unrat quoll. Zwei Mal mussten sie auf wackeligen Behelfsbrücken aus Stahlgittern tiefe Schluchten überqueren. Ganz unten konnte Unwin noch mehr Gässchen, weitere Tunnel und Rinnsteine erkennen. Lamechs träumendes Ich bestand aus verschiedenen Schichten, und ein Labyrinth lag über dem anderen – eine

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