Handyman Jack 03 - Im Kreis der Verschwörer
sie nicht korrigiert, als sie zu dieser Schlussfolgerung gelangt war. Sie neigte zu übertriebenen Reaktionen, wenn er verletzt wurde, und meinte dann stets, wie leicht es hätte noch schlimmer kommen können, dass er dabei sogar hätte getötet werden können. Manchmal entwickelte sich daraus ein heftiger Streit.
Eine Schnittwunde beim Rasieren war als Erklärung ganz gut.
»So«, sagte sie und knüllte die Serviette zusammen. »Alles sauber.«
»Ich hatte vergangene Nacht einen Rakoshi-Traum«, erzählte er ihr.
Gewöhnlich vermieden sie es, über das entsetzliche Abenteuer im vergangenen Sommer zu reden. Es hatte mit dem Tod von Vickys beiden Tanten geendet, und Vicky selbst hätte auch beinahe den Tod gefunden. Aber er musste sich mitteilen, und Gia war einer der vier Menschen, die von der Existenz dieser Bestien wussten.
Sie sah ihn mitfühlend an. »Wirklich? Das tut mir Leid. Ich glaube, bei mir haben sie endlich aufgehört. Aber hin und wieder wacht Vicky noch von diesen Horrorwesen auf. Bin ich in dem Traum vorgekommen?«
»Nein.«
»Gut.« Sie schüttelte sich. »Ich möchte diesen Wesen nie mehr begegnen, noch nicht einmal im Traum eines anderen.«
»Keine Sorge. Das wird nicht passieren. Versprochen.«
Gia lächelte und blätterte im
Annie-Buch
weiter. Jack schaute sich suchend nach Vicky um. Der achtjährige Sonnenschein mit den Zöpfchen – der Grund, weshalb sie dieses Restaurant aufgesucht hatten – ritt drüben am Fenster auf einem elektrischen Kindermotorrad, das man mit einer Münze in Gang setzen konnte. Ein Gefühl wohliger Wärme durchströmte Jack, während er beobachtete, wie sie so tat, als jagte sie über eine imaginäre Straße. Vicky war zwar nicht seine leibliche Tochter, eine solche würde er wohl nie haben, aber er liebte sie mindestens genauso. Acht Jahre alt und an allem interessiert, was die Welt zu bieten hatte, war sie das Glück ihrer Mutter und wurde entsprechend verwöhnt. Das war ein Leben, von dem man nur träumen konnte.
»Meinst du, sie wird eine Bikerbraut, wenn sie erwachsen ist?«
»Genau das habe ich mir immer für sie gewünscht«, sagte Gia, ohne von dem Buch hochzuschauen.
Jack hatte Vicky versprochen, während der Osterferien mit ihr essen zu gehen, und sie hatte sich für das Harley Davidson Café entschieden. Vicky liebte die Räder und die Chromverzierungen. Jack gefiel es, dass nur Touristen hierher kamen, was die Möglichkeit nahezu ausschloss, einem Bekannten zu begegnen. Gia war als Anstandsdame mitgekommen, um sicherzugehen, dass die beiden nicht in Schwierigkeiten gerieten. Keiner von ihnen war wegen des Essens hierher gekommen, das sich eigentlich nur dazu eignete, den Hunger bis zur nächsten Mahlzeit zu betäuben. Aber soweit es Jack betraf, verwandelte die Tatsache, die beiden einzigen weiblichen Wesen in seinem Leben in seiner Nähe zu haben, jede noch so obskure Abfütterungsfabrik in einen Feinschmeckertempel.
»Die sind wirklich gut«, sagte Gia und brauchte für jede Seite des
Little-Orphan-Annie-Buchs
kaum mehr als zwei Sekunden.
»Du kannst doch unmöglich so schnell lesen«, sagte Jack.
»Nein, ich meine die Kunstwerke.«
»Die Kunstwerke? Aber das sind doch nur einfache Zeichnungen.«
»Ja, sicher, aber es ist fantastisch, wie er nur mit schwarzer Tusche diese kleinen weißen Kästchen füllt.« Sie nickte bewundernd. »Seine Kompositionen sind einzigartig.« Sie klappte das Buch zu. »Wer ist dieser Mann?«
»Er heißt Harold Gray. Er hat sie erfunden.«
»Tatsächlich? Ich kenne Annie aus dem Bühnenstück und aus dem Kino, aber warum habe ich noch nie von ihm gehört oder früher schon mal seine Comicstrips gesehen?«
»Weil in deiner Zeitung in Iowa Annie wahrscheinlich nicht abgedruckt wurde, als du noch ein Kind warst. Ende der Sechziger war sie eigentlich passe, und nach Harold Grays Tod wollte sie niemand mehr lesen.«
»Wie viele Geschichten gibt es davon?«
»Nun, mal sehen… Annie fing in den Zwanziger ...«
»Donnerwetter. Er hat das vierzig Jahre lang gemacht?«
»Seine besten Arbeiten hatte er in den Dreißiger- und den Vierzigerjahren. Punjab hat seinen ersten Auftritt in diesem Buch, das vor dir liegt.«
»Punjab?«
»Ja. Dieser große Indianer. Geoffrey Holder hat ihn im Film gespielt. Ich habe Little Orphan Annie immer geliebt, und zwar vorwiegend wegen Figuren wie Punjab und dem Asp – man sollte sich mit dem Asp lieber nicht anlegen. Dieser Gray ist der amerikanische Dickens.«
»Ich wusste gar
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