Handyman Jack 04 - Tollwütig
anzusehen, die weniger vom Glück gesegnet sind als sie selbst – zumindest jene, die so erscheinen. Daher müssen wir zusehen, wie wir auf unsere Kosten kommen.« Er verstaute den Umschlag in einer seiner zahlreichen Taschen. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, als redete er mit sich selbst. »Weil ich die Truppe zusammenhalten muss – um jeden Preis.«
Während er sich über den Anflug von Verzweiflung in Prathers Stimme wunderte, folgte Luc ihm aus dem Anhänger und in die Dämmerung. Er fing den Geruch des Long Island Sound auf, während sie über ein Pfad zertretenen Sumpfgrases zum Hauptzelt gingen.
»Sie sind hier draußen weit vom Schuss«, stellte Luc fest und fragte sich, weshalb Prather diesen ziemlich abgelegenen Teil des North Shore ausgewählt hatte, um seine Zelte aufzuschlagen. »Haben Sie denn hier genug Zulauf?«
»Nicht so viel wie in einer dichter bevölkerten Gegend«, sagte Prather. »Aber uns reicht es. Der Eigentümer vermietet uns das Land für einen halbwegs vernünftigen Preis, und um ehrlich zu sein: Uns gefällt die Stadt.«
»Monroe? Was ist so besonders an Monroe?«
»Sie würden es nicht verstehen«, sagte Prather.
In diesem Augenblick kam eine junge Frau durch das Gras auf sie zugerannt und rief: »Oz! Oz!«
Sie war klein, dünn, und ein langer Pferdeschwanz flatterte um ihren viel zu kleinen Kopf. Luc konnte erkennen, dass sie weinte. Sie ergriff Prathers Hand und zog ihn beiseite. Schluchzend flüsterte sie etwas mit einer hohen, piepsigen Stimme, wobei ihre Worte so schnell hervorsprudelten, dass Luc nicht viel mehr verstehen konnte, als dass »Rena so gemein« wäre.
Er sah, wie Prather aufmerksam zuhörte und verständnisvoll nickte, wie er ihr den Rücken tätschelte und etwas Beruhigendes murmelte. Die junge Frau lächelte, kicherte, dann hüpfte sie davon, als wären all ihre Sorgen wie weggeblasen.
»Was hatte das denn zu bedeuten?«, fragte Luc, als Prather wieder zu ihm zurückkam.
»Ein kleiner häuslicher Streit«, antwortete der hoch gewachsene Mann. »Wir sind auf unsere Art auch eine Familie, und in Familien kommen solche Reibereien immer wieder mal vor.«
»Und Sie sind der Vater, den sie aufsuchen, damit er den Streit schlichtet?«
»Nur einige tun es. Viele in unserer Truppe sind durchaus fähig, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Lena und ihre Schwester Rena hingegen haben den geistigen Stand von Sechsjährigen. Ihre harmlosen Kabbeleien empfinden sie als nahezu unüberwindlich. Daher muss ich einschreiten und die Rolle Salomons spielen.«
»Aha. Ich dachte schon, dass sie irgendwie mikrozephal aussah.«
Prather nickte. »Sie werden in unserem Gewerbe ›Nadelköpfe‹ genannt. Lena und ihre Schwester treten bei uns als die ›Zwillingsnadeln‹ auf.«
Luc empfand eine tiefe Abscheu, die sich offensichtlich auf seinem Gesicht zeigte.
»Schockiert, Doktor?« Prathers Mund verzog sich zu der Karikatur eines Lächelns. »Ausbeutung der geistig Zurückgebliebenen… das denken Sie doch gerade, habe ich Recht?«
»Nun ja…« Es war genau das, was er gedacht hatte.
»Aber Sie wissen nichts von ihrem Leben, ehe ich sie fand. Lena und Rena wohnten in einer Baracke aus Pappkarton in Dallas und stritten sich mit den Ratten um die Überreste aus den Restaurantmülltonnen. Außerdem wurden sie immer wieder vergewaltigt und anderweitig missbraucht, sobald es ihren Gefährten auf der Straße in den Sinn kam.«
»Lieber Himmel.«
»Jetzt wohnen sie in ihrem eigenen Wohnwagen, sie reisen durch das Land, und während der Show singen und rezitieren sie Kinderverse für die Zuschauer, die bei ihnen stehen bleiben. Und sie sind in Sicherheit, Doktor.« Seine tiefe Stimme bekam einen harten Klang. »Wir passen hier aufeinander auf. Niemand wird ihnen jemals wieder wehtun.«
Luc sagte nichts, während Prather für ihn die Zeltklappe hochhob. Was hätte er auch sagen sollen?
Einen Augenblick später stand er vor dem Sharkman-Käfig. Zwei der hündischen Helfer hielten einen Arm der dunklen Kreatur fest. Luc erschauerte, als ihm klar wurde, dass einer der beiden Macintosh im vergangenen Monat den tödlichen Schlag versetzt haben konnte. Ihre kraftvollen Körper erschienen entspannt. Sie hatten nur wenig Mühe, den Arm der Kreatur still zu halten. Einer von ihnen hätte wahrscheinlich ausgereicht. Sogar der Gestank der Kreatur schien seit dem vergangenen Monat schwächer geworden zu sein.
Luc schloss die Augen, als die Welt unter seinen Füßen zu
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