Handyman Jack 07 - Todessumpf
wäre sehr verstimmt, wenn ihr es nicht tut.«
»Oh, das stimmt. Richtig!«, sagte Corley. Er griff ins Netz und holte eine zappelnde gut fünfzehn Zentimeter große Meeräsche heraus. »Das Übliche?«
»Zwei müssten reichen.«
Er warf erst einen, dann einen zweiten Fisch auf das Deck, danach ging er zum Ufer.
Semelee ergriff einen der zappelnden, nach Luft schnappenden Fische und hielt ihn an seinem glatten, glitschigen Schwanz über das Wasser.
»Dora«, rief sie mit singender Stimme. »Dora, Schätzchen. Wo bist du, mein Liebling?«
Dora musste bereits am Grund gewartet haben, denn sie schoss sofort zur Wasseroberfläche hoch. Der gebirgsartig gewölbte Panzer der Schnappschildkröte mit seinen mit Algen und Gras bedeckten Gipfeln und Tälern erschien zuerst und maß vom vorderen bis zum hinteren Ende gut anderthalb Meter. Dann durchbrach ihr Kopf die Oberfläche, und alle vier glänzenden kleinen Augen richteten sich auf sie, während beide Mäuler aufklafften und warteten. Semelee konnte die wurmähnliche Wucherung auf jeder ihrer Zungen erkennen, die Dora wie Fischköder benutzte, wenn sie während der Mittagszeit auf dem Grund der Lagune hockte und auf ihr Mittagessen wartete. Schließlich tauchte auch der lange Schwanz auf und trieb wie eine dicke fette Wassermokassinschlange auf der Wasserfläche.
Semelee war sicher, dass Wissenschaftler so gut wie alles dafür geben würden, einen Blick auf Dora, die größte, gefährlichste, hässlichste Alligatorschnappschildkröte, die die Welt je gesehen hatte, werfen zu dürfen. Aber sie gehörte Semelee, und niemand anders durfte sich in ihre Nähe wagen.
Sie warf dem linken Kopf einen Fisch zu. Die scharfen, kräftigen Kiefer schnappten etwa bis zur Mitte zu und trennten Kopf und Schwanz voneinander. Letzteren verschlang der rechte Kopf, als er ins Wasser fiel. Ein vereintes heftiges Schlucken, und die beiden Mäuler klafften abermals erwartungsvoll auf.
Semelee gestattete dem zweiten Kopf beim zweiten Fisch den ersten Biss, mit dem gleichen Ergebnis, dann hielt sie die Hand über das Wasser. Dora stieg hoch, so dass ihre Köpfe in Reichweite kamen.
»Gutes Mädchen, Dora«, gurrte Semelee und streichelte die Köpfe. Doras langer Schwanz peitschte vor Vergnügen hin und her. »Danke für deine Hilfe. Verschwinde lieber, ehe die Bagger kommen.«
Dora schickte ihr einen letzten Blick, ehe sie wieder versank.
Während sich Semelee aufrichtete, entdeckte sie ihr Spiegelbild im aufgewühlten Wasser und sah genauer hin. Sie hielt zwar nicht viel von Spiegelschau, ab und zu betrachtete sie sich jedoch und fragte sich dann, was alles für sie anders hätte laufen können, wenn sie Haar von einer gewöhnlichen Farbe besäße – schwarz oder braun oder rot oder blond, ganz gleich, solange es sich nicht um die Farbe handelte, mit der sie geboren worden war.
Die Wasseroberfläche zeigte jemanden Mitte zwanzig mit einem Gesicht, das nicht unbedingt zum näheren Hinschauen einlud, aber auch nicht hässlich war. Wenn man ihr nachschaute, dann wegen ihrer Haare, einer wilden silbrig weißen Mähne, die wie eine Wolke über ihr zu schweben schien – eine sehr wilde, zerzauste Gewitterwolke, die sich weder durch Kämmen noch durch Bürsten bändigen ließ. Ganz gleich wie lange und intensiv sie mit Kamm und Bürste zu Werke ging. Sie wusste es nur zu gut. Als Kind hatte sie Stunden damit zugebracht.
Dieses Haar war ihr Fluch gewesen, solange sie sich erinnern konnte. Sie erinnerte sich nicht daran, hier, direkt an der Lagune, geboren worden zu sein. Und sie erinnerte sich auch nicht daran, wie ihre Mutter die Lagune verlassen und mit ihr nach Tallahassee umgezogen war. Aber sie erinnerte sich an ihre Schulzeit in Tallahassee. Und das nur zu deutlich.
Ihre erste Erinnerung waren Kinder, die auf ihr Haar deuteten und ihr den Spitznamen »Alte Frau« gaben. Niemand wollte die Alte Frau Semelee in ihrem Team haben, ganz gleich was gespielt wurde, daher verbrachte sie die Pausen und die Zeit nach der Schule vorwiegend alleine. Aber nicht immer. Ausgestoßen zu sein, wäre schlimm genug gewesen, aber die anderen Mädchen gaben sich damit nicht zufrieden. Nein, sie mussten sie auch noch scharenweise verfolgen und ihr die Mütze wegnehmen, mit der sie ihre Haare bedeckte. Danach zerrten und zogen sie an ihren Haaren und machten sich darüber lustig. Die Tage, die sie nach der Schule weinend zu ihrer Mami nach Hause zurückkehrte, waren gar nicht zu zählen. Das Zuhause war
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