Handyman Jack 08 - Der schwarze Prophet
wie nach Hause, um sich umzuziehen, ein wenig zu schminken und in Richtung Bronx abzudampfen.
7
»›Von diesen Völkern sind die Belgae … die mutigsten, weil sie … am weitesten entfernt sind von …‹«
Schwester Maggie unterdrückte den Drang, das schwierige Wort für das kleine Mädchen zu übersetzen, und entschied sich stattdessen für eine einfache Ermunterung.
»Mach weiter, Fina. Bis jetzt war es schon sehr gut.«
»Am weitesten entfernt von der … der Kultur und Zivilisation der Provinz.«
»Das ist wunderbar! Du kannst das wirklich sehr gut!«
Und das stimmte. Die kleine Serafina Martinez mochte zwar erst neun Jahre alt sein, doch sie las bereits aus Cäsars Der Gallische Krieg – nicht fließend, natürlich, aber ihre Kenntnisse der lateinischen Vokabeln und ihr Gefühl für den Satzbau waren weiter entwickelt als bei jedem anderen Kind ihres Alters, das Schwester Maggie bisher unterrichtet hatte. Dass Spanisch ihre Muttersprache war, war sicherlich eine Hilfe, aber dennoch …
Und Sprache war nicht Finas einzige starke Seite.
Sie war auch ausgesprochen gut in Mathematik und löste bereits einfache algebraische Gleichungen.
Keine Frage: Dieses Mädchen war das intelligenteste Schulkind, das Maggie in den fast zwanzig Jahren ihrer Lehrtätigkeit begegnet war. Am ausgeprägtesten war ihr Lernwille. Das Gehirn der Kleinen wirkte wie ein Schwamm, der alles in seiner Reichweite hungrig aufsaugte. Das Kind freute sich auf seine Sondersitzungen mit Schwester Maggie, die dreimal in der Woche stattfanden.
»Ich glaube, für heute ist es genug, Fina. Du hast eine Menge geleistet. Jetzt pack deine Sachen zusammen.«
Sie beobachtete, wie Fina ihr Lateinbuch in dem übergroßen, voll gestopften Rucksack verstaute, der so viel zu wiegen schien wie sie selbst. Nun, vielleicht nicht ganz so viel. Fina hatte noch einiges an Babyspeck, aber schon deutlich weniger als im Vorjahr. Und waren das nicht schon die ersten Anzeichen für ein Paar Brüste, die sich unter dem Oberteil ihres Schulkleids wölbten?
Fina gehörte nicht zu den »coolen« Kindern in der Schule. Makeup war in der St. Joseph’s Elementary nicht erlaubt, aber einige der Mädchen begannen schon das bisschen an körperlichen Vorzügen, das sie besaßen, herzuzeigen. Sie kürzten die Säume ihrer Kleider auf Oberschenkellänge und schoben die Kniestrümpfe auf die Füße hinunter. Fina hatte jedoch mit all dem nichts im Sinn. Sie trug ihr Haar altmodisch kurz, und ihr Kleid war eher zu lang als zu knapp. Die Strümpfe wurden außerdem stets bis zum Knie hochgezogen. Trotzdem hatte sie viele Freunde und Freundinnen. Ihr fröhliches Lachen und ihr immerzu wacher Humor garantierten, dass sie sich niemals wie eine Ausgestoßene würde vorkommen müssen.
Doch Maggie machte sich Sorgen wegen Fina.
Das Kind näherte sich einem wichtigen Scheideweg in seinem Leben. Wenn sich die Hormone meldeten und einen Wachstumsschub auslösten, würde sich der Babyspeck nach und nach auf deutlich weiblichere Rundungen verteilen. Sollte Fina am Ende auch nur entfernt ihrer Mutter ähnlich werden, dann würden die Jungen schon bald in Scharen angelockt werden. Und dann würde sie sich entscheiden müssen, was ihr in Zukunft lieber wäre: klug und gebildet zu sein oder beliebt und der Schwarm aller Männer.
Maggie hatte schon so oft eine solche Entwicklung verfolgen können – dass intelligente Kinder auf Bildung verzichteten, um zu denen zu gehören, die »im Trend« lagen –, denn coole Kinder fanden die Schule »ätzend«; coole Kids interessierten sich für nichts anderes als für das, was durch ihre wie angewachsen scheinenden Kopfhörer in die Schädel pulsierte. Und coole Kids errangen erst recht keine guten Schulzensuren.
Wenn Fina weiterhin die St. Joe’s besuchte, dann, so war Maggie sich sicher, könnten sie oder eine ihrer Mitnonnen es vielleicht schaffen, sie auf dem Weg zu akademischer Brillanz zu halten und ihr dabei zu helfen, ihre sämtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Aber Maggie fürchtete, dass dies wahrscheinlich Finas letztes Jahr an der Schule sein würde.
Und auch Maggies letztes Jahr, wenn diese Fotos jemals an die Öffentlichkeit gelangen sollten.
»Gibt es etwas Neues von deinem Vater?«, fragte sie, während sich das Kind in die Gurte des Rucksacks schlängelte.
Fina ließ mit ihren Bemühungen kurz nach, dann schwang sie sich den Rucksack auf den Rücken. Ihre Lippen zitterten.
»Er muss ins Gefängnis.«
Maggie hatte
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