Handyman Jack 09 - Das Höllenwrack
wie er selbst und während der ersten acht Lebensjahre Jacks im selben Haus gelebt hatte. Zehn Jahre älter als Jack, war Tom noch nicht einmal eine feste Größe in Jacks Leben gewesen, als er aufs College ging, und danach verblasste er vollends zu einer Geistererscheinung, die sich nur anlässlich von Feiertagen und kurzen Urlauben blicken ließ.
Jack bewahrte irgendwo seine Telefonnummer auf. Er hatte ihn während des letzten Septembers mehrmals anrufen müssen, um ihn über Dads Zustand nach dem schweren Autounfall auf dem Laufenden zu halten, aber doch nicht häufig genug, um die Nummer auswendig gelernt zu haben.
»Du musst dich bei ihm melden.«
Ja, das musste er wohl. Aber wie sehr würde es Tom interessieren?
Jack hielt inne. Das war nicht fair. Tom hatte Dad nicht in Florida besucht, als er im Krankenhaus lag, aber das bedeutete noch immer nicht, dass er nicht am Boden zerstört wäre, wenn er erfuhr, dass ihr Dad zu den Opfern des Flug-715-Massakers gehörte. Damals hatte er sich damit entschuldigt, dass er durch wichtige »juristische Angelegenheiten« von einem Besuch abgehalten würde, was immer das auch bedeutete. Sicher, er arbeitete in Philadelphia als Richter und konnte die Stadt während eines aktuellen Falles, an dem er arbeitete, wohl kaum verlassen, aber trotzdem … Wenn der eigene Vater im Koma liegt und niemand weiß, ob er jemals wieder daraus erwachen wird, verdammt noch mal, dann findet man immer eine Möglichkeit.
»Toms Nummer liegt irgendwo in meiner Wohnung. Rons auch.«
Die Kinder seiner Schwester mussten ebenfalls vom Schicksal ihres Großvaters unterrichtet werden.
Er hauchte Gia einen Kuss auf den Scheitel. »Ich muss schnell nach Hause, um diese Anrufe zu erledigen.«
Gia schaute zu ihm auf. »Kannst du nicht die Auskunft anrufen?«
»Für Rons Nummer bestimmt, denke ich. Aber ich weiß, dass Toms eine Geheimnummer ist, weil er Richter und besonders gefährdet ist.«
Sie ergriff seine Hand. »Aber du kommst doch zurück, nicht wahr?«
»Ich glaube schon.«
»Jack, du solltest heute Nacht nicht alleine sein. Das ist ein Schicksalsschlag, den man gemeinsam bewältigen sollte. Vicky und ich können dir helfen, ihn zu verarbeiten und zu überwinden, aber du musst es uns gestatten. Ich kenne dich, Jack. Du bist wie ein Wolf, der sich verletzt hat und sich zurückzieht, um seine Wunden allein zu lecken. Du kannst eine solche Sache nicht in deinem Innern einsperren. Du musst sie herauslassen. Ich – wir sind für dich da, Jack. Bitte schließ uns nicht aus.«
Während sich Jack verabschiedete und das Haus verließ, hoffte er, dieses Versprechen halten zu können.
10
Jack saß im Wohnzimmer seines Apartments, das einer Rumpelkammer ähnelte. Immer noch wie taub, hatte er darauf verzichtet, das Licht anzuknipsen. Er saß in vollkommener Dunkelheit, die lediglich durch das schimmernde Tastenfeld seines Mobiltelefons erhellt wurde. Er begann mit seinen Anrufen.
Zuerst kam das Gespräch mit dem einhundertfünfzehnten Revier. Eine Frau erklärte ihm, sie hätten noch keinerlei Informationen, wie die Angehörigen mit den sterblichen Hüllen verfahren könnten. Die Opfer würden identifiziert, untersucht und anschließend freigegeben.
»Gehörte Ihr Verwandter zu der jüdischen Reisegruppe?«, wollte sie wissen.
»Nein. Weshalb?«
»Nun, die Leute müssen eine ganze Reihe religiöser Vorschriften beachten.«
»Zum Beispiel welche?«
»Zum Beispiel: den Toten noch vor Sonnenuntergang zu beerdigen und …«
»Das gilt doch schon lange nicht mehr.«
»Ich weiß, aber es gibt gewisse Einschränkungen, was das Kühlen von Leichen betrifft – nun, es ist, gelinde gesagt, ein sehr heikles Thema.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Hier rufen ständig Abgeordnete, Kongressangehörige und Mitglieder des Stadtrates an, um die Angelegenheit zu beschleunigen und …«
»Was? Sind deren Tote etwa wichtiger als mein Vater?« Jack spürte, wie in seinem Innern eine Flamme aufloderte. Seine Wut brauchte ein Ziel, ein Opfer. »Einen Teufel sind sie.«
»Es tut mir leid, Sir. Bitte rufen Sie morgen Vormittag noch einmal an. Bis dahin müssten die Autopsien abgeschlossen sein, so dass einer Freigabe der Leichen nichts mehr im Wege steht. Noch einmal mein aufrichtiges Beileid, Sir, und auf Wiederhören.«
Jack saß da und starrte auf den stummen Telefonhörer.
Nachdem er einige Sekunden gebraucht hatte, um sich zu beruhigen, wählte er die Nummer von Kates Ex-Ehemann.
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