Handyman Jack - Story-Sammlung
Und das Licht. Es kam von oben. Er zwängte seine Augenlider einen weiteren Millimeter auf. Da war kein Fenster – das Licht kam durch einen Rost in der Decke.
Der stumme Schrei von vor ein paar Augenblicken war plötzlich wieder da und steckte in seiner Kehle, drängte sich gegen seinen Kehlkopf und wollte mit Macht hinaus.
Das hier war nicht sein Schlafzimmer. Er steckte in dem Rohr – dem Abwasserrohr! Es war alles kein Traum. Es war Wirklichkeit. Es war echt!
Hank kämpfte gegen die Panik an, unterdrückte sie und versuchte nachzudenken. Er war noch am Leben. Das durfte er nicht vergessen. Er war noch am Leben und es war Tag. Die Viecher aus den Löchern regten sich tagsüber nicht. Sie scheuten das Licht. Er musste nachdenken, einen Plan machen. Im Plänemachen war er immer gut gewesen.
Er schielte an seinem Körper entlang. Sein Blick war jetzt klarer. Er sah das sachte auf und ab seiner spärlich behaarten Brust und weiter unten sah er den blutigen Einstich, wo die Tausendfüßler-Königin ihr Gift in ihn hineingespritzt hatte. Das Neurotoxin wirkte noch immer und lähmte offensichtlich seine willentlich gesteuerten Muskeln, während sein Herz und seine Lungen weiterarbeiteten. Aber es lähmte ihn nicht vollständig. Schließlich war es ihm gelungen, die Augen zu öffnen. Und er konnte ja auch die Augäpfel bewegen. Also was ließ sich sonst noch bewegen?
Er riss sich vom Anblick der Bauchwunde los und suchte nach seinen Händen. Sie lagen flach neben dem Körper, mit den Handflächen nach oben. Er versuchte, die Beine zu sehen. Sie waren unversehrt, ein wenig gespreizt und die Zehen zur Seite gerichtet. Er lag da, als würde er ein Sonnenbad nehmen. Sein Körper war absolut entspannt … die Entspannung völliger Lähmung. Er wandte seinen Blick wieder dem Arm zu und folgte ihm bis zur Hand. Wenn er einen Finger rühren könnte …
Da erst bemerkte er die Fäden. Er war davon umgeben, sie verliefen kreuz und quer und waren ineinander verwoben wie Gaze. Die Fäden führten von jedem Arm und Bein weg wie dicke Spinnenfäden und endeten in dicken Klumpen gallertartiger Masse, die an die Seitenwände des Rohres gepappt war. Er sah so weit an sich hinunter, wie es seine unvorteilhafte Lage erlaubte, und erkannte, dass er nicht in der Röhre lag, sondern in ihr hing. Da er das Gefühl hatte, gerade zu liegen, lag er wohl horizontal auf einem Netz, das quer durch das Abflussrohr gespannt war.
Hank staunte, wie unbeteiligt er seine Situation betrachten konnte. Er saß in der Falle – er war nicht nur gelähmt, sondern auch noch kunstfertig gefesselt. Andererseits hatte seine Haltung in dieser Art Hängematte auch ihre Vorteile. Wenn er lange auf dem kalten Beton gelegen hätte, hätte der Körper nur schwerlich seine Temperatur aufrechterhalten können, außerdem schützte ihn dieses Netz vor dem Wasser und bewahrte sein Fleisch vor dem Aufquellen.
Also lag er hier zwar auf dem Trockenen, aber er war gefesselt, geknebelt und bewegungsunfähig.
Er war aufgehängt wie ein frisch geschlachtetes Schwein.
Dieser Gedanke traf ihn mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Genau so war es! Er war Futter! Sie hatten ihn mit Konservierungsmitteln vollgepumpt und lebend eingelagert, damit er nicht verdarb. Und wenn dann oben die Nahrung spärlicher wurde, würden sie hierher zurückkommen und ihn sich einverleiben.
Er kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Die würde ihm nun wirklich überhaupt nicht helfen. Sie hatten bereits seinen Körper gelähmt. Wenn er nun zuließ, dass die Furcht auch seinen Verstand lähmte, würde das die Dinge nur noch schlimmer machen. Aber diese eine erbarmungslose Tatsache stürmte beharrlich gegen seine Schutzwälle an.
Ich bin Futter!
Aber ich bin am Leben. Und ich kann mit diesem Ungeziefer fertig werden.
Er wusste, wie sie vorgingen. Sie würden sich voraussichtlich den ganzen Tag über versteckt halten und erst bei Beginn der Nacht wieder an die Erdoberfläche kommen. Bis dahin musste er sich befreit haben.
Aber zuerst musste er wieder die Kontrolle über seinen Körper gewinnen. Er konnte bereits die Augenlider und die Augäpfel bewegen. Als Nächstes standen die Hände auf dem Programm. Wenn er sich befreien wollte, brauchte er die vor allem anderen. Erst mal einen Finger. Er würde mit dem Zeigefinger der rechten Hand beginnen und all seinen Willen und seine Energie auf diese kleine Extremität konzentrieren, bis sie sich rührte. Dann würde er mit dem nächsten und dem
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