Handzahm
alle Verabredungen ab, weil sie sich ganz auf ihre Prüfung konzentrieren wollte, und traf sich nur einmal mit Penelope auf einen Kaffee bei Starbucks in der Pearl Street Mall, weil es für sie Tradition hatte, von Oktober bis Weihnachten mindestens einmal pro Woche einen Pumpkin Spice Latte – einen Espresso mit Milch, Muskatnuss, Zimt und Kürbis – zu trinken, ein Getränk, vor dem Derek sich regelrecht ekelte.
Derek.
Er hatte ihre Entscheidung, sich den Prüfungen des Lords zu stellen und ihre Spielbeziehung zu beenden, schweren Herzens akzeptiert.
«Wir legen unsere Beziehung vorerst nur auf Eis», besänftigte sie ihn. «Nichts ist endgültig.»
«Ich finde, du mutest dir zu viel zu. Dir hat das Spiel Spaß gemacht, aber mit dem Lord wird es ernst.»
Er hatte recht. Mit ihm war SM ein Ausgleich zu ihrem Alltag, eine Art Hobby. Mit dem Lord dagegen wurde BDSM Teil ihres Alltags werden. Ob das gut oder schlecht war, würde sie bald wissen. Aber bei einer Sache war sie sich ganz sicher: Sie musste es ausprobieren.
«Ich habe dir alle Freiheiten geschenkt, er wird dich einschränken. Aber ich bin immer für dich da. Ich gebe heute meine Spielpartnerin auf und will nicht auch noch meine Freundin verlieren.» Er hatte ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt und war gegangen.
Auch Penelope war wenig begeistert vom Lord, einem Mann, den sie nicht kannte, der durch seinen Reichtum und seinen Beruf zu viel Einfluss hatte, der durch seine Dominanz Cassandra manipulieren konnte, und Pen ahnte, dass Cassy Wachs in seinen Händen war, weil ihre beste Freundin schon lange nicht mehr derart von einem Mann geschwärmt hatte. Aber sie versuchte nicht, ihn Cassy auszureden, sondern beschwor sie lediglich, vorsichtig zu sein.
«Wer weiß», Pen zuckte mit den Schultern, «vielleicht ist er der Mann deines Lebens. Aber bis dahin, Darling, sei bitte auf der Hut.»
*
Als der Tag gekommen war und sie zur Uni fuhr, hatte Cassandra es immer noch nicht verdaut, dass der Lord ihr Konto bis auf ein paar wenige Dollar leergeräumt hatte. Er schickte einmal pro Woche jemanden vorbei, der ihren Kühlschrank und ihre Vorräte auffüllte. Wünsche konnte sie nicht äußern, sie musste damit zurechtkommen, was ihr Vormund ihr zugestand. Obwohl er ihr viel Obst und Gemüse bringen ließ und es ihr an nichts fehlte, waren die Rationen doch knapp bemessen, und es störte sie gewaltig, so fremdbestimmt zu sein.
Ein Computerspezialist hatte im Auftrag von Andrew ihren Laptop so eingerichtet, dass er von außen darauf zugreifen konnte und Kopien aller ein- und ausgehenden E-Mails an sein Postfach geschickt wurden. Cassy stellte daraufhin ihren Mailverkehr fast vollkommen ein und benutzte den Laptop nur noch für ihr Studium.
Langsam verlor sie immer mehr den Kontakt zur Außenwelt. In ihrer ersten Euphorie war ihr das egal gewesen, da ihre Faszination für den dunklen Lord alles andere in den Schatten stellte. Doch je realer ihr Wunsch, mit ihm zu spielen, wurde, desto mehr wuchsen ihre Zweifel.
Auf der einen Seite wünschte sie es sich, sich vollkommen in die Hände eines erfahrenen Dominus zu begeben, auf der anderen litten ihr Studium und ihre sozialen Kontakte darunter. Selbst Penelope sah sie nur noch in den Vorlesungen.
Pen bereitete ihre Hochzeit vor und Cassy ihre erste richtige SM-Session, die sie vermutlich bis an ihre Grenzen bringen würde.
Sie parkte ihren Wagen vor dem Gebäude, in dem sich das Institut befand. Ihre Hände waren feucht und ihre Beine zitterten, als sie unbeholfen auf den viel zu hohen Stilettos zum Eingang stakste. Die Kälte drang unter ihren Oilskinmantel, unter dem sie nackt war. Sie schaute sich verstohlen um, aber niemand war in der Nähe, der diesen seltsamen Auftritt zufällig hätte mitverfolgen können.
Einen ängstlichen Moment lang hoffte sie, dass die Tür verschlossen war, doch als Cassy am Griff zog, schwang sie auf. Andrew Callum Lord schien gute Verbindungen zu haben. Er imponierte ihr, und dennoch war ihre Vorfreude auf die kommenden Stunden etwas getrübt, weil er offensichtlich die vollkommene Kontrolle über ihr Leben wollte.
Damit war sie überfordert, aber sie hielt sich tapfer. So leicht gab sie nicht auf!
Der Gang war finster, das machte sie nervös, ebenso das Klacken ihrer Schuhe und das nervöse Pochen ihres Herzens, das ihren Brustkorb zu sprengen drohte. Mit jedem Schritt, den sie tiefer in die Finsternis eintauchte, wuchs ihre Unsicherheit.
Auf was hatte sie sich nur
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