Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
»Laß dich anschauen, metökischer Bankherr. Sie sagen, du hast gewütet wie Achilleus selbst.«
    Bilderfetzen trieben über Antigonos’ Hirn – wie Schlieren an der Oberfläche einer brodelnden Suppe, die zu dünn ist, als daß das Fett Augen bilden könnte. »Ich weiß nichts«, sagte er halblaut. »Ich erinnere mich an Gesichter und Arme und Bäuche.«
    Naravas tastete nach etwas neben dem Schemel, fand es und stand auf. »Dein ägyptischer Dolch.« Er hielt ihn Antigonos hm. »Dein Gürtel war ein zerstückeltes Netzwerk. Alles lag unter dir. Man hat dich zum Wall getragen, aber plötzlich warst du fort.« Dann grinste er. »Ah, noch etwas. Dein Schwert ist zerbrochen, Freund und Bruder.«
    Antigonos schüttelte sich. »Ich erinnere mich«, sagte er schwach, »daß ich damit weiter gehackt habe.«
    Naravas hielt ihm eine fast armlange Scheide hin; Hamilkar zog das Schwert halb heraus. Es war ein Stück bester spartanischer Schmiedekunst. Die Parierstange war ein Schiff, Bug und Heck aufwärts gekrümmt, der Griff eingelegt mit Perlmutter und kühlem Elfenbein, der Knauf ein roter Edelstein.
    »Es gehörte einem guten Mann.« Hamilkar kniff die Augen zusammen. »Metiochos. Er war der Führer einer Hundertschaft. Lakedaimonische Hopliten, Tiggo. Dieses Schwert hat am Eryx zahllose Römer gefressen. Heute war dein Arm stärker; und deine zerbrochene Klinge.«
    Da Antigonos noch immer nicht Zugriff, beugte Naravas das Knie, senkte den Kopf und hielt die Waffe hoch wie eine Opfergabe. »Nimm es, Herr der Sandbank – von zwei Freunden und einem Bruder.«
    Antigonos berührte die Schulter des Massylers. Er nahm das kostbare Geschenk, bückte sich und legte es neben den Dolch.
    »Was ist geschehen?« sagte er mühsam.
    »Die Elefanten und die Numider.« Hamilkar legte den Arm um seine Schulter. »Ohne diese beiden – ohne euch – säßen nun Zarzas, Spendius und Audarido hier und könnten um meine Gebeine würfeln. Die Elefanten und unsere schweren Reiter haben den libyschen Angriff zerbrochen, dann haben die Schleuderer und Bogenschützen ihn zur Flucht gemacht. Trotzdem – wir waren zu wenige und hätten alles verloren, ohne euren Angriff im besten Moment.«
    »Die punische Reihe hat bereits gewankt, Bruder.« Naravas ging zu seinem Schemel, setzte sich jedoch nicht. »Als die Söldner schon den Sieg schmecken konnten, haben wir ihre Flanke aufgerollt. Aber es war schwer – schlimme Arbeit.«
    »Zehntausend von ihnen und fast zweitausend von uns«, sagte Hamilkar düster. »Morgen werden sie zusammen im Boden ruhen. Fast fünftausend Gefangene, der Rest zerstreut. Leider sind Zarzas, Spendius und Audarido entkommen. Und viele Verwundete, die die nächste Sonne nicht mehr sehen werden.«
    »Aber wir haben beide Lager genommen – Vorräte, Gold , Warfen.« Naravas grinste; dann erstarrte sein Gesicht in einer Grimasse. »Was ist, Antigonos? Du taumelst.«
    Hamilkar stützte ihn. Der Hellene schüttelte langsam den Kopf; seine Stimme klang beinahe verträumt.
    »Es ist leer«, sagte er leise. »Leer und entsetzt und furchtbar müde. Gräßlich – ist der Triumph immer so, Hamilkar?«
    Der Punier seufzte. »Jede Schlacht ist anders, Tiggo, und jede Schlacht ist das Grauen. Der Sieg ist ein kurzer Jubel, ein Aufschrei, das Zwinkern aller Götter – und dann langes krankes Würgen. Nur eines ist noch gräßlicher als der Sieg: die Niederlage.«
    Naravas blickte den großen Punier fassungslos und voller Staunen an. Antigonos ließ sich auf eine Decke sinken.
    »Aber am schlimmsten ist«, sagte Hamilkar unendlich müde und gequält, »und auch du wirst es spüren, Tiggo: daß die Gier nicht mehr einschläft.«
    Antigonos schlug die Hände vors Gesicht.
     
    Die Latrinen stanken in den Morgen: zwei lange Gräben, an der Biegung unterhalb des Lagers parallel zum Fluß gegraben und oben mit verkeilten Holzplatten geschlossen. Wenn man sie entfernte, würde der Fluß alles fluten und wegspülen. Antigonos wünschte sich weit weg und fragte sich dabei, was sein Körper eigentlich ausscheiden wollte. Er hatte noch immer nichts gegessen.
    Hamilkar sprach mit den Gefangenen, ging von Gruppe zu Gruppe, von Pferch zu Pferch, redete Punisch, Libysch , Iberisch, Latein, Hellenisch, Balliarisch, Sandaliotisch, Südgallisch. Alles Vergangene sei vergessen, sagte er – die großen Verdienste der Kämpfer im Römischen Krieg ebenso wie die seither begangenen Frevel und Schandtaten. »Ihr kennt mich«, schloß er jede seiner Reden.

Weitere Kostenlose Bücher