Hanibal
das gelegentliche Gellen der Signalhörner übertönt hatten.
Mago und der Breitschultrige erreichten die Flußmitte; am Nordufer drängten sich Vettonen, von den Schleuderern und Bogenschützen noch am Übergang gehindert. Hamilkar deutete flußauf; dann glitt er vom Felsen und watete zum Südufer. Speere flogen hinter ihm und den anderen her, fielen ins Wasser und ans Ufer, schienen manchmal im letzten Moment wie durch Zauberei die Flugbahn zu ändern und den Strategen zu verfehlen.
Oberhalb der Furt, die nun fast an der Oberfläche zu sehen war, ritten die ersten Oretaner ins Wasser. Antigonos hob den Schild, den er einem Gefallenen abgenommen hatte, schwenkte ihn. Der balliarische Unterführer am Damm hatte auf das Zeichen gewartet. Die Elefanten zogen. Zwei große Blöcke wurden aus dem Damm gerissen, den Rest erledigte der Druck des aufgestauten Wassers. Die Flutwelle löschte die Oretaner und ihre Pferde aus, als ob es sie nie gegeben hätte.
Dann begann der quälende, zähflüssige Albtraum. Hamilkar hatte fast das Südufer erreicht. Ein Felsblock minderte die Wucht der Flutwelle; das aufschäumende Wasser reichte nur bis an die Oberschenkel des Strategen. Gischt spritzte auf, überschüttete Hamilkar, Mago und den dritten Mann. Immer wieder flogen Vettonenspeere über den Fluß. Antigonos’ Herz krampfte sich zusammen. Undeutlich sah er sich mit dem uralten kupferhäutigen Priester jenseits des Okeanos am Altar stehen, der im trüben Licht des Morgens mattgolden glänzte, und hörte aus unendlicher Ferne die spröde Stimme: Nie darf gischtendes Wasser das Fell des yama berühren – der Stoff des Lebens hebt den Todesbann auf. Der Pfeil eines Gätuliers bohrte sich in die Kehle des Vettonen, der den Speer geworfen hatte. Die Waffe flog in einem seltsamen Bogen, senkte sich, drang durch yama in Hamilkars Rücken, durchschlug den Körper. Die Spitze ragte aus der Brust. Hamilkar taumelte, streckte die Arme aus, hielt sich mit der Linken an Mago fest, tastete mit der Rechten nach der Speerspitze.
Einen Augenblick lang legte sich Totenstille über beide Ufer; die Flutwelle war weit flußab, und der Taggo rauschte leiser. Zum ersten Mal seit Erreichen des Flusses bewegte sich Hasdrubal. Er trieb sein Pferd ins Wasser, bis jenseits der erstarrten Dreiergruppe, deckte sie gegen weitere Speere von der anderen Seite, riß das Schwert aus der Scheide, reckte es in die Luft und schrie: »Barkas!« Seine Stimme gellte weit über den Strom. Die betäubten, gelähmten, entsetzten Kämpfer schienen zu erwachen, nahmen den Ruf auf, schrien den Ehrennamen ihres Strategen in die Welt und gegen den Himmel.
Später begriff Antigonos, daß Hasdrubal sie alle gerettet hatte. Vettonen und Oretaner überquerten den Fluß ober und unterhalb des Lagers, aber ihre Angriffe wurden zurückgeschlagen. Nach den schlimmen Stunden am Fluß hatten die Männer sich wie in einem gemeinsamen Todestaumel aufgegeben, als der Führer, der Unbesiegte, der Unbesiegbare fiel. Allein der Zauber des Namens riß sie wieder in die Höhe. Ohne Hasdrubal wäre es zu einem Gemetzel fast ohne Gegenwehr gekommen.
Hamilkar lebte noch, als sie ihn ans Ufer trugen. Hasdrubal ritt das Ufer hinauf und hinab und feuerte die Männer an, die dem letzten Angriff der Vettonen und Oretaner begegneten. Hasdrubal Barkas hatte abermals das Unglaubliche gewagt und geschafft, die fliehenden Elefanten, von denen viele verwundet waren, aufzuhalten, zu sammeln und schwenken zu lassen. Mit Muttines’ Numidern und Hannibals Kataphrakten wüteten sie am Nordufer, bis Vettonen und Oretaner sich trotz aller Überlegenheit zurückzogen, erschöpft und gleichzeitig siegestrunken, nachdem sie die Punier über den Fluß zurückgeworfen und ihres unersetzlichen berühmten Strategen beraubt hatten.
Hamilkars Atem kam in flachen Stößen. Aus der Brust und aus den Mundwinkeln sickerte Blut. Sein Kopf lag in Antigonos’ Schoß. Der Breitschultrige kämpfte am Ufer. Mago kniete neben dem sterbenden Vater, bleich und mit starren Zügen, nicht wie ein Vierzehnjähriger, sondern wie ein Greis.
Hamilkar blickte hoch, mit Augen, die sich zu entfernen schienen. Er sah Mago, versuchte zu lächeln, hustete krampfhaft. Mehr Blut kam aus dem Mund. Da der Kampf am Ufer entschieden war, erschien nun auch Hasdrubal der Schöne, drängte sich durch die stummen Reihen und kniete neben Hamilkar nieder. Das Gesicht, unbewegt während der ganzen langen Schlacht, während der kühlen, klugen,
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