Hanibal
Begriff ein. Die schlanke, scharfsinnige Salambua mit der weichen Stimme war immer noch scharfsinnig, aber während der Körper sich gerundet hatte, war die Stimme dünn geworden, hart und oft schrill. Antigonos hatte sie und Naravas mehrfach besucht und wußte, daß ihre Rolle am numidischen Hof schwer gewesen war – Tochter des großen Hamilkar Barkas, Punierin, teils gehaßt, teils verehrt, immer beneidet von allen anderen Frauen; Gattin des jüngsten Bruders des ruhmreichen Königs Gya, dessen Nachfolger, der junge Masinissa, alles tat, um den Onkel zurückzusetzen, der an Hamilkars Seite gekämpft und Ruhm errungen hatte. Nach Naravas’ Tod mußte alles vollends unerträglich geworden sein.
»Kleine Schwester«, sagte Antigonos, und für einen Augenblick wurde Salambuas Gesicht weich, »ich danke dir für die Kenntnisse, die du mir weitergegeben hast. Ich hatte wirklich geglaubt, Hasdrubal könnte in Iberien so unabhängig handeln wie Hannibal. Aber ich sehe noch nicht, wie man diese schlimme Sache ändern sollte.«
»Ich schon.« Salambua richtete sich auf; ihr Mund wurde zu einem harten Strich. »Man sollte Hanno… ah, aber das tut ja doch keiner.«
»Sag mir etwas anderes. Dreitausend massylische Reiter für Hannibal. Wen muß ich fragen?«
Sie riß die Augen auf. »Fragen? Nicht die alten Trottel, diese sogenannten Berater. Sie sind vergreist, seit sie sich nicht mehr an Naravas reiben können. Frag Masinissa. Aber teuer, Junge, teuer wird es werden.«
»Wie teuer, kleine Schwester?«
»Er wird einen halben shiqlu verlangen, für jeden Mann jeden Tag. Du kannst ihn vielleicht auf zehn shiqlu im Mond herunterhandeln – weniger nicht. Und er wird den Sold für ein Jahr im voraus verlangen. Ein Drittel für sich, zwei Drittel für die Krieger.«
Antigonos überschlug. Dreihundertsechzigtausend Schekel – hundert Talente Silber. Tomyris sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.
»Du machst teure Geschenke, Herr der Sandbank«, murmelte sie. »Kannst du…?«
»Ich kann. Bostar wird zetern, aber ich habe gelernt, sein Zetern zu überhören.«
Salambua setzte ihren Becher ab, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, das Kinn auf die Hände und blickte zwischen Antigonos und Tomyris hindurch. »Man könnte ein gutes Nachtmahl richten«, sagte sie halblaut. »Und Betten gibt es hier auch genug. O Tiggo, ich bin eine alte zänkische Frau geworden, nicht wahr? Wenn du ›kleine Schwester‹ zu mir sagst, sehe ich uns wieder hier sitzen – die Kleinen, die jetzt Krieg gegen das allmächtige Rom führen, Hasdrubal, Sapanibal, Mutter… Wollt ihr nicht bis zum Morgen bleiben?«
Sieben Tage lang erforschten Tomyris und Antigonos die Stadt und das Land. Sie ruderten zwischen den Schilfbänken des Sees von Tynes und beobachteten Fische und Wasservögel. In den stinkenden Gassen der Färber und Gerber sah der Hellene einen gebeugten triefäugigen Greis, in dem er seinen Jugendfreund Itubal zu erkennen glaubte. Im Gewimmel des Viertels der Metöken verlor er Tomyris aus den Augen und traf sie Stunden später nördlich des finsteren Baaltempels an der Großen Straße wieder. Sie sagte, nie habe sie so viele schlechte Preise geboten bekommen wie an diesem Tag; Antigonos riet ihr, die Augen nicht schwarz und die Lippen nicht rot zu schminken und keine grellrote Hüftschärpe zu tragen, aber am nächsten Morgen kleidete und bemalte sie sich genauso wie am Vortag. Unterhalb der Häuser der Edlen am Byrsahang stiegen sie in die Unterwelt, wanderten durch die dunklen Gewölbe und belebten auf einem uralten steinernen Sarg ihr Fleisch; Tomyris’ Lust hallte durch die Gänge und Kammern, schreckte Ratten auf und vertrieb ein paar Jungen, die flohen und Götternamen riefen. Im Treiben eines Vorstadtmarkts glitt Antigonos auf einer faulen Frucht aus, hielt sich an Tomyris und am Wasserschlauch eines Esels fest; der Schlauch platzte, als beide am Boden lagen, und der Wasserverkäufer bewarf sie mit Tierkot und Abfällen. In den Tavernen der Messerstecher hinter dem Isthmoswall hörten sie Geschichten von Mord unter Mauretaniern, von Ränken in gätulischen Stämmen, von massylischen Räubern, masaesylischen Tierfängern, lauschten eine Nacht lang der Lebensgeschichte eines einäugigen Garamanten, der große Karawanen durch die Wüste geführt und kleine Karawanen in die Irre geleitet und ausgeplündert hatte. In den Schänken des äußeren Hafens sprachen sie mit punischen Seilmachern und Fischern, mit Matrosen
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