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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Oikumene auf, im Tempel des Baal, dem uralten tofet. Der heilige Ort, nur an Festtagen zugänglich und allen Nichtpuniern streng verboten, war leichter zu schützen als Hannos Palast’in der Byrsa. Alle Metöken haßten und fürchteten den Tempel; Antigonos verließ sich hierauf noch mehr als auf sein Silber und die alten Sippenfreundschaften: Den heiligsten Ort des furchtbaren alten punischen Gottes zu entweihen war schlimmer als alles, was im Tempel geschehen sollte; keiner der Männer würde je davon zu sprechen wagen.
    Nachmittags begann es zu regnen. Der Himmel, grau seit Tagen, barst über der Stadt und schüttete ein Meer hinab. Sturzbäche schwemmten Erdreich aus den Gärten auf der Byrsa; bräunliche Gischt schäumte die engen Straßen hinab zur Agora. Bis zum Sonnenuntergang stand das Wasser knietief auf den Straßen und Gassen der Stadt. Offene Kähne im Hafen liefen voll und sanken. In den Gruben der Gerber ertranken drei Gehilfen; ihre Leichen trieben mit der widerlichen Brühe durch das Viertel hinter der Isthmos-Mauer. Die Regenvorhänge um den Baal-Tempel wehrten alles Licht ab, löschten abends die Fackeln von Hannos Wächtern, machten sie blind.
    Der Überfall verlief ohne Schwierigkeiten; alles ging sehr schnell. Zehn Punier, die innerhalb weniger Momente niedergeschlagen, gefesselt und geknebelt waren. Antigonos’ Leute verbanden ihnen die Augen und nahmen ihre Plätze ein; zehn als Wächter, die übrigen drangen in den Tempel vor , schleppten die Gefäße ins Innere.
    Die riesige Bronzegestalt des kinderfressenden Gottes , inwendig erhellt durch das niemals verlöschende Feuer für die mulk-Feier, glühte drohend am Ende der weiten Halle. Die Metöken erstarrten; Antigonos kämpfte ein furchtsames Schaudern nieder. Die schwarzen Säulen, die tiefrot glimmenden Wandbehänge, die Reihen der steinernen Bänke, die Blutsteine und die auf einer Art Altar ausgebreiteten Gewänder und Geräte der Priester schienen das Licht widerspiegelnd zu fressen.
    In einer Ecke der Halle ruhte Hanno der Große, auf einem breiten bequemen Lager, umgeben von Kerzen und Öllampen.
    Er hatte sich in Leopardenfelle gewickelt und las einen Papyros. Neben ihm standen mehrere Amphoren, Becher, Platten und Teller mit Speiseresten. Der alte Ratsherr blickte auf.
    »Du schändest den Tempel, Metöke.«
    Die Stimme hallte mehrfach gebrochen durch unsichtbare Gänge und Kammern. Hannos Augen mußten immer noch scharf sein; Antigonos hätte den Punier aus dieser Entfernung nicht erkannt.
    »Ich komme, um dem Hohen Priester zu huldigen, Punier. In dieser Stadt wurde ich geboren, vor fast siebenundsechzig Jahren.« Antigonos ging langsam zu ihm hin. »Für diese Stadt habe ich fast siebenundsechzig Jahre gelebt, gekämpft, gearbeitet und oft genug gelitten. Meinen Sohn Memnon habe ich der Stadt und ihren Göttern geopfert. Nun bin ich ebenso Punier wie du, Hanno.«
    »Niemand ist Punier, der nicht als Punier geboren wurde, von einer punischen Mutter, gezeugt von einem punischen Vater. Geh.«
    »Ich bleibe, Hanno. Großer Hanno, ich bin gekommen, um etwas zu bereinigen, was seit über vierzig Jahren zwischen uns steht. Um einen Fehler zu beheben – zu spät, leider viel zu spät, aber zwei alte Männer, deren letzte Tage gezählt sind, sollten sich vor dem Ende aussprechen.«
    Hanno stand auf. Seine Bewegungen waren immer noch schnell, keineswegs die eines hinfälligen Greises.
    »Du machst mich neugierig – punischer Metöke.«
    Antigonos gab seinen Leuten Zeichen. Sie stellten die Gefäße auf eine Bankreihe und zogen sich ins Halbdunkel zurück.
    »Wo sind meine Wächter?« sagte Hanno plötzlich, als ob er vorher nicht an sie gedacht hätte.
    »Sie hüten uns, ruhig und gelassen. Sie werden uns nicht stören. Niemand wird uns stören bei dieser heiligen Handlung , Hanno. Es ist eine sehr heilige Handlung – vor dem Antlitz des großen Baal wollen wir gemeinsam speisen – eine punische Speise. Punische Pampe, wie mein Vater sagte.«
    Hanno kam näher. Die Augen waren eisig wie früher; Bart und Haar weiß, längst nicht mehr gefärbt. Das zerfurchte Gesicht drückte ein seltsames Gemenge von Abscheu, Neugier, Fragen, Aufmerksamkeit und Mißtrauen aus. Und noch etwas, das Antigonos nicht benennen konnte, etwas wie unbegreifliche, unzugängliche, dem Hellenen für immer verschlossene Einheit von Mann und Tempel, Punier und Gott, Ratsherr und Wesen der alten Stadt. Antigonos fröstelte.
    Mühsam riß er sich zusammen und

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