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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Gestalten. Durch das Glas sah Antigonos einen riesigen Becher, der zu einem winzigen flachen Schädel gehoben wurde. Turbane waren Berge erdrückender Bleiwolken; ein Spitzkegel aus rosa gefärbtem Filz wucherte zu einer Nadel, die den Himmel aufbohren konnte, und schrumpfte bei der nächsten Kopfbewegung des Trinkers zu einem bösen Klecks. Tische schienen zu schweben und spreizten verdrehte und verquollene Beine seitlich ab. Hinter einem marktplatzgroßen Tablett, beladen mit schrägen Türmen, wölbten sich zwei Lippenwülste; der Rest des schwarzen Schanksklaven war ein zuckendes Schwänzchen im grünlichen Glas. Über der Taverne, über dem Schatten, zeichnete die sinkende Sonne das Dach des gegenüberstehenden Hauses ab. Die beiden obersten Fenster, noch von Sonne beschienen, waren wie blinde Augen; in das linke bohrte sich der schwertförmige Schatten eines auf dem anderen Haus ragenden Wäscheständers.
    Antigonos kicherte und ließ die Pferde wieder antraben. Vor ihnen lag das Tor der inneren Mauer, die Byrsa, Ratsviertel und alte Stadt umgab. »Was für ein Vorzeichen? Meinst du den Schatten oder die Verzerrungen?«
    »Das Schwert im Auge des Melqart.« Bostar versuchte, seiner Stimme einen finsteren Klang zu geben.
    »Er wird es fortzwinkern. Los, runter. Und vergiß nichts.«
     
    Das Stadthaus Hannos des Großen lag am Rand der Byrsa unterhalb des Eshmun-Tempels. Um das Gelände zog sich eine dicke, doppelt mannshohe Mauer; das Tor war mit Eisen beschlagen und von zwei Bewaffneten bewacht. Sie erkannten Wagen und Pferde und zogen sofort die Schwerter.
    »Wo…?«
    Antigonos stieg ab und warf dem linken Posten den Zügel zu.
    »Sie sind heruntergefallen und kommen zu Fuß nach.
    Bewegung kann nicht schaden. Ich bin Antigonos. Hanno harret meiner in Ungeduld.«
    Einer der Posten pfiff schrill. Das angelehnte Tor wurde geöffnet; ein weiterer Bewaffneter – ebenfalls Punier – reckte den Kopf heraus. Nach kurzem Wortwechsel mit den anderen führte er Antigonos hinein.
    Hinter der Mauer lag ein kleiner Park; unter den Zypressen ästen zwei Gazellen. Das weiße, dreigeschossige Gebäude mochte eine Fläche von hundertmal hundert Schritt bedecken. Die oberen Stockwerke wichen ein wenig zurück; die untere Außenwand hatte keine Fenster, und die Terrasse darüber war durch eine Brustwehr mit Zinnen gesichert.
    Hinter einer weiteren eisenbeschlagenen Tür erstreckte sich ein Gang mit Ziegelboden. Rechts und links lagen Gesinderäume; aus einem drangen Männerstimmen und das Klirren von Waffen.
    »Hanno scheint sich bedroht zu fühlen«, sagte Antigonos.
    Der Bewaffnete grunzte, sagte aber nichts. Der Gang endete an einem Innenhof mit Zisterne und Viehtrögen; es roch nach Pferden. Durch einen weiteren Gang kamen sie zum nächsten Hofraum, der mit bunten Steinen ausgelegt und von Beeten gesäumt war. Aus einem verzierten Marmorbrunnen rieselte Wasser und sammelte sich in Rinnen, die zu den Beeten führten, vorbei an breiten Steinbänken unter weißen Baldachinen mit beschnitzten Trägern aus schwarzem Holz.
    Eine Treppe aus grünem Marmor führte zum ersten Stock. Durch einen Gang, dessen Boden aus fleischfarbenem glatten Stein bestand und an dessen Wänden dunkelrote Teppiche hingen, brachte der Posten Antigonos zu einer Galerie. Im Hof darunter loderte ein Feuer; der Geruch von harzigem Holz und gebratenem Fleisch vermengte sich mit dem scharfer Gewürze, mit Weindunst und schweren Duftstoffen.
    Eisenfäuste an den Wänden hielten flackernde Fackeln, deren Licht die zunehmende Dämmerung vertiefte. Junge schwarze Sklavinnen, nackt und schweißüberströmt, schleppten große Bronzeplatten mit Fleisch aus dem Hof herauf. Die Balustraden aus Ebenholz, mit geschnitzten Elfenbeinranken als Verstrebungen, waren zu beiden Seiten der Treppenöffnung mit silbernen Daimonenfratzen gekrönt, in deren Augenhöhlen Smaragde Licht erbrachen. Ein Lochgestell neben dem Ende des Gangs, gegenüber der Treppe, barg sieben spitzbödige Weinamphoren ägyptischer Herkunft.
    Rechts und links der Gangmündung standen je drei Liegen aus Zedernholz und balliarischem Schilf, mit kostbaren Einlegearbeiten aus Elfenbein. Die Polster waren bedeckt von Leopardenfellen und schweren, golddurchwirkten Wollstoffen. Auf der linken Seite war eine Liege frei.
    Hanno lag rechts in der Mitte. Er trug eine Tunika aus chinesischer Seide, die das Zwanzigfache ihres Gewichts in Gold gekostet haben mußte. Der Purpurrand war mit einer Goldborte

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