Hannah, Mari
Kameralinse vorbeugte und direkt hineinsah. Als ihr klar wurde, dass er sie von ferne beobachtete, wurde ihr beinahe schlecht.
Der kranke Dreckskerl! Er war gut … er war sehr gut.
Daniels spürte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterlief, als die Musik aus der Wohnung nebenan plötzlich aufhörte. Im Bruchteil einer Sekunde griff sie nach der Maus und rief die Kamera auf, ein kleines Fenster öffnete sich – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie am anderen Ende abgeschaltet wurde.
Sie erreichte die Sicherheit des Einsatzwagens, eines geräumigen Transit, in der Hälfte der Zeit, die sie zuvor bis zur Wohnung gebraucht hatte. Brown rief sofort Verstärkung und machte ihr einen Becher heißen, süßen Tee. Er schmeckte schrecklich, aber sie trank ihn trotzdem. Zwar hatte sich das Zittern ihrer Hände noch nicht beruhigt, aber sie meinte zu spüren, wie der Tee daran arbeitete.
Gormleys Stimme über Funk zu hören, war tröstlich, auch wenn er ihr die Hölle heiß machte. »Das hättest du besser wissen müssen.« Er hörte sich atemlos an. »Andy sagt, er hätte dich noch nie so verstört gesehen.«
Daniels warf Brown einen bösen Blick zu. »Hat er das?«
Brown wurde rot und sah auf seine Füße hinunter.
»Ich mein’s ernst, Kate!«, rief Gormley. Im Funkgerät waren Hintergrundgeräusche zu hören; der gedämpfte Ton von jemandem, der stritt? Daniels konnte es nicht ausmachen, wer da sprach und worum es ging. Wahrscheinlich hatte Gormley die Hand über das Mikro gelegt. Dann hörte sie ein weiteres Geräusch. Absätze auf Holzboden? »Kate, hörst du mir eigentlich zu?« Gormley brüllte immer noch. »Dieser Mistkerl hätte dich umbringen können!«
»Na ja, noch hab ich alle Arme und Beine, also spielt das jetzt keine Rolle, oder? Ich sag’s dir, Hank. Die Technologie ist von grandiosem Nutzen für solchen Abschaum wie ihn. So lange er die Webcam eingeschaltet lässt, könnte er aus Timbuktu zugucken oder ganz gemütlich aus dem Sessel nebenan.«
Noch mehr gedämpfte Gespräche.
»Ich geb’s auf!«, sagte Hank.
Durch die abgedunkelten Scheiben konnte Daniels verschiedene Polizeifahrzeuge ankommen sehen. Beamte drängten scharenweise aus Mannschaftswagen: einige bewaffnet, andere mit Spürhunden, alle mit der Hoffnung, Forster zu finden, bevor es ihm gelang, zu entkommen.
»Bleib dran, Kate.« Gormley war jetzt ruhiger. »Hier würde sich noch jemand freuen, wenn du ihm huldvollerweise ein Ohr leihen würdest …«
»Eine Sekunde«, schnitt Daniels ihm das Wort ab. »Andy, sag ihnen, sie sollen den Computer einkassieren und direkt zu Carmichael bringen.«
Brown zögerte, unentschieden, ob er sie allein lassen sollte oder nicht.
»Na los! Worauf warten Sie noch?«
»Sind Sie auch ganz bestimmt in Ordnung?«
Jos erregte Stimme drang durch das Funkgerät. »Nein, sie ist nicht in Ordnung, Sie Idiot! Sie bleiben, wo Sie sind und benutzen Ihr Handy, hören Sie mich? Andy?«
Brown verzog das Gesicht.
Daniels rollte die Augen, wusste nicht, mit wem sie als Erstes reden sollte. »Himmelherrgottnochmal! Andy, tun Sie, was ich sage! Jo, halt dich da raus! Das geht dich nichts an, das ist Polizeiarbeit. Gib mir Hank wieder.«
Jo ignorierte sie. »Kate, hör mir zu. Du darfst mit Forster kein Risiko eingehen.«
Daniels wartete, bis Brown weg war. »Jo, was ist dein Status?«
»Was meinst du?«
»Dein Funkgerät, wer hört sonst noch mit?«
Jo brauchte einen Moment, vermutlich, um das mit Gormley abzuklären. »Okay, schieß los.«
»Dann gewöhn dich dran. Das ist mein Job. Außerdem, was kümmert dich das eigentlich?«
94
Browns Hintern wurde allmählich taub. Er saß jetzt schon die dritte Nacht in Folge hinten im Transit und observierte vergeblich die Haupteingangstür der Brandon Towers, während ein Kollege dasselbe auf der hinteren Seite des Gebäudes tat. In dieser Zeit hatte er diverse Straftaten und Verstöße gegen die öffentliche Ordnung beobachtet: Drogengeschäfte, zwei Mal Körperverletzung, vier Mal Sachbeschädigung und fünf verschiedene Male Urinieren an einem öffentlichen Ort. Gerade jetzt wünschte er sich, er könnte das auch tun. Er sah auf die Uhr und war erleichtert festzustellen, dass er in wenigen Minuten abgelöst werden würde und nach Hause in ein warmes Bett gehen könnte.
Freitag der fünfzehnte Januar brach an mit strengem Frost und strahlendem Wintersonnenschein, der die Düsternis der letzten Tage vertrieb. Die Durchsuchung der Brandon Towers hatte bestätigt,
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