Hannah, Mari
Über die auf dem Fußboden liegenden Gegenstände hinwegsteigend, ging er ins Schlafzimmer, wo ein weiterer Tatortbeamter mit einer behandschuhten Hand an den Innenseiten der Schubladen einer Kommode entlangfuhr. Schranktüren standen offen, und an einigen Stellen waren sogar die Bodendielen angehoben – das Zimmer war ein Schweinestall: Schmuddeliges Bettzeug bedeckte eine durchgelegene Doppel-Matratze auf dem Boden; leere Flaschen und ein überquellender Aschenbecher standen auf einem umgedrehten Bierkasten, der als Nachttisch diente; und überall lag schmutzige Kleidung verstreut.
Als er zurück ins Wohnzimmer ging, klebte das verdreckte Linoleum beim Gehen an seinen Schuhen. Der Gestank in der Wohnung setzte ihm allmählich zu, trotz der offenen Terrassentür. Eine Beamtin auf allen vieren sah zu ihm hoch, als er hereinkam.
»Irgendwas Nützliches gefunden?«, fragte er.
Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Staubmaske abzusetzen, sondern schüttelte nur den Kopf und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Gormley trat auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Er lehnte sich ans Geländer und sah über die Stadtlandschaft hinweg, genoss den kurzen Augenblick des Friedens und der Ruhe. Im Vordergrund hockte eine hübsche kleine Kirche seltsam fremd zwischen sieben Hochhaustürmen, ihre großen geschwungenen Türen mit Brettern gegen die dort lebenden Vandalen und Säufer verrammelt. Das Wort »gottverlassen« kam ihm in den Sinn, als er sich fragte, wie lange es schon her sein mochte, dass ein Kleriker einen Fuß dort hinein gesetzt hatte.
Er nahm einen langen Zug aus seiner Zigarette und verschob dabei mit dem Ellbogen einen der Stützpfosten des Balkongeländers. Bei genauerem Hinsehen war es eher ein robustes Gerüst, an dem ein Gitter befestigt war, damit kleine Kinder nicht hindurchfallen konnten – absurd, wenn man den bedenklichen Zustand bedachte, in dem sich die ganze Konstruktion befand. Als er in die Knie ging, um es sich näher anzusehen, bemerkte er, dass einer der T-Pfosten locker saß. Und das nicht zufällig, wie ihm schien. Als er den oberen Teil abzog, entdeckte er eine Rolle Papiere darin. Er zog sie heraus, und Entsetzen überkam ihn, als ihm klar wurde, was er da gefunden hatte.
Er hatte mehrmals versucht, Daniels zu kontaktieren, hatte unzählige Nachrichten hinterlassen, aber bis jetzt hatte sie noch nicht zurückgerufen. Sie ließ ihm keine Wahl, außer die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit fuhr Gormley direkt zu Jos Büro. Als er ins Wartezimmer kam, fand er sich Auge in Auge Henderson gegenüber, der ihn mit drogenverhangenem Blick ansah.
»Wenn ich du wäre, würde ich die Hufe schwingen, Kumpel«, sagte Gormley. Als er merkte, dass der Detective Sergeant noch weniger in der Stimmung für Spaß und Spielchen war als beim letzten Mal, zog sich Henderson zurück.
»Lassen Sie mich rein, bitte«, sagte Gormley zur Sekretärin.
Sekunden später platzte er ohne anzuklopfen in Jos Büro. Sie saß am Fenster und las in einer Akte. Sie war salopp gekleidet, trug eine enge Jeans und einen petrolfarbenen Cardigan mit dreiviertellangen Ärmeln, der genau zu den Pumps an ihren Füßen passte. Ihr Haar fiel offen über ihre Schultern. Sie sah ein bisschen blass aus, ansonsten aber wenig mitgenommen von ihrer Zeit in Untersuchungshaft. Abgesehen von einem Hauch Lippenstift trug sie kein Make-up. Sie sah ganz anders aus als in der Zentrale.
»Ich bin beschäftigt, Hank, kann das nicht warten?«
»Nein, tut mir leid, kann es nicht.«
Gormley schnappte sich ihren Mantel und ihre Tasche und schob sie trotz ihres Protestes nach draußen, setzte sie in seinen Wagen und fuhr los, so schnell er konnte. Es regnete in Strömen, die Scheibenwischer bewegten sich hektisch und lautstark, und Jos wortreiche Beschwerden machten alles noch schlimmer. Erst als er ihr erklärte, dass sie in ernster Gefahr schweben könnte, hielt sie den Mund, wenn auch nicht für lange. Sie bestand darauf, dass er anhielt, und wollte wissen, warum zum Teufel er sich so merkwürdig verhielt.
Gormley nahm den Fuß vom Gas, hielt den Wagen an und drehte sich zu ihr um.
»Auf wessen Befehl hin werde ich verhaftet?«, wollte sie wissen.
»Auf meinen!« Gormley bemerkte, wie wütend er auf sie war, obwohl er eigentlich keinen Grund dazu hatte. »Und Sie werden nicht verhaftet, zumindest nicht auf die Wache gebracht. Ich muss Sie in ein gesichertes Haus bringen.«
»Wieso sind
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