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Hannah, Mari

Hannah, Mari

Titel: Hannah, Mari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sein Zorn komme uber uns
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wahrscheinlich kaum mehr bewegen, nachdem der Schuss ihn getroffen hatte«, fuhr Stanton fort, während er sorgfältig Maß nahm. »Es gibt keine Schleifspuren, die darauf hindeuten, dass er sich fortzuschleppen versucht hat, auch auf den umgebenden Möbeln sind keine Spuren zu sehen.«
    Daniels nickte. »Überhaupt keine Anzeichen für ein Handgemenge, oder?«
    Der Pathologe blickte sich um, dachte nach. »Ich würde es für sehr unwahrscheinlich halten, dass der Mörder auf irgendeine Form von Gegenwehr oder einen Versuch des Opfers, sich zu schützen, gestoßen ist. Sieht aus, als sei der arme Kerl vollkommen überrascht gewesen. Glücklicherweise war es im nächsten Augenblick auch schon vorbei.« Während er um den Leichnam herumging, musterte er neugierig die mit Blut befleckte Smokingfliege, die auf dem gläsernen Couchtisch lag. Vorsichtig hob er sie mit einer kleinen Zange hoch und zeigte auf die Tischplatte. »Sehen Sie hier, ich würde die Fotografen bitten, davon eine Aufnahme zu machen.«
    »Das werde ich.« Daniels trat näher. Auf dem blutbespritzten Glas war ein perfekter Abdruck der Fliege. »Wenn er Zeit genug hatte, um sich zu entspannen und die Fliege abzunehmen, bevor der Mörder zugeschlagen hat, würde das nicht nahelegen, dass ihm nicht gleich jemand in die Wohnung gefolgt ist und er nicht sofort erschossen wurde? Was meinen Sie?«
    Stanton nickte. Er war beinahe fertig. Mit letzten Angaben zu Umgebungstemperatur und Entfärbung des Leichnams beschloss er seine Aufnahme und begann, die Handschuhe abzustreifen.
    »Jemand von der Spurensicherung wird bald vorbeikommen«, sagte er. »Dann können wir ihn eintüten und ins Leichenschauhaus bringen.«

13
    Officer Adams öffnete die Tür. Jo war schockiert angesichts des körperlichen Verfalls von Woodgate, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Im harten Licht der Leuchtstoffröhren war nicht zu übersehen, dass er einen Kampf gehabt hatte – und verprügelt worden war: Er war blass, hatte einen Riss in der Lippe, eine Schürfwunde auf der Stirn und ein enormes blaues Auge. Jetzt verstand sie, warum er »im Block« war. Gefangene wurden hier nur aus zwei Gründen untergebracht: entweder zur Disziplinierung oder weil sie zu ihrem eigenen Schutz nach Paragraph 43 Einzelhaft beantragt hatten.
    Woodgate hielt den Kopf gesenkt und weigerte sich, ihr in die Augen zu sehen. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn so sah. Die meisten Sexualverbrecher, mit denen sie gearbeitet hatte, verschlossen sich vor der Realität. Nur dass dieser hier sich quasi auf seinem Stuhl krümmte: nicht bereit über sein Verbrechen zu sprechen, nicht mit einer Frau – und ganz sicher nicht mit ihr. Er hatte seinem Betreuer bereits gesagt, nur ein Kerl würde das verstehen. Er wollte Soulsby nicht sehen; sie bereitete ihm Unbehagen.
    Geschieht ihm recht! Warum sollte er vergessen dürfen? Sein Opfer wird das nie tun.
    Jo zog einen Stuhl heran und setzte sich am einzigen Tisch im Raum dem Gefangenen gegenüber. Was dann geschah, traf sie vollkommen unvorbereitet. Ohne Vorwarnung packte Woodgate den Tisch, warf ihn um, mit allem, was darauf lag, und schleuderte sie zu Boden.
    Er begann wie wahnsinnig herumzubrüllen.
    Um nicht als Geisel genommen zu werden, reagierte Jo geistesgegenwärtig. Sie hieb mit der Faust auf einen roten Alarmknopf an der Wand. Plötzlich brach die Hölle los. Die Sirene schrillte. Mehrere Wachleute stürmten herein. Zwei von ihnen rangen Woodgate nieder, indem sie ihre Knie als Hebel in seinem Rücken ansetzten. Adams stemmte seinen Unterarm in Woodgates Genick und presste sein Gesicht auf den gefliesten Boden, so dass man ihm Handschellen anlegen konnte.
    Jo kroch über den Boden zur gegenüberliegenden Wand, erschüttert von der Plötzlichkeit und Wildheit von Woodgates Ausbruch. Auch wenn sie dergleichen schon viele Male gelesen hatte, war es doch etwas vollkommen anderes, es selbst zu erleben. Woodgate wurde auf den Flur hinausgeschleift, er trat um sich und brüllte Obszönitäten, und seine Stimme hing noch im Raum, lange nachdem er außer Sicht war.
    »Brauchen Sie einen Arzt?«, fragte Adams.
    »Mir geht’s gut, danke.«
    Das Gegenteil war der Fall. Für ein paar Augenblicke ging Jo auf alle viere und versuchte, ihre Unterlagen einzusammeln. Aber ihre Hände zitterten so heftig, dass ihre Papiere sich schlichtweg weigerten, zurück in ihre Hülle zu gleiten. Jo hielt inne. Sie hockte sich auf die Fersen und sah Adams zu, wie er den

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