Hannah, Mari
Tisch wieder aufstellte, dazu den Stuhl, damit sie sich setzen konnte.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht mit dem Arzt sprechen wollen? Eine Tasse Tee vielleicht oder einen Schluck Brandy?«
»Am ehesten Letzteres, aber ich will lieber so schnell wie möglich hier raus.«
»Vielleicht hat er Ihnen sogar einen Gefallen getan.«
»Na prima, wie kommen Sie denn darauf?«
Adams grinste. »Ganz einfach, jetzt gibt’s keinen Grund mehr für eine neue Begutachtung, oder?«
»Da ist was dran.« Jo schätzte seinen Versuch, sie aufzuheitern, spürte, wie ihr Herzschlag sich normalisierte, das Adrenalin, das durch ihren Körper strömte, allmählich abzuflauen begann.
»Ich habe Woody sowieso für zu gefährlich gehalten, um entlassen zu werden«, sagte Adams.
Jo nickte. »Nun, er hat Ihre Meinung gerade bestätigt. Wenn’s nach mir geht, können Sie ihn direkt zurück nach Dartmoor schicken. Ich spreche auf dem Weg nach draußen mit dem Direktor.«
14
Kate Daniels war seit fast fünfzehn Jahren bei der Polizei. Sie kannte die Auswirkungen der täglichen Konfrontation mit Gewaltverbrechen und war stolz darauf, niemals zugelassen zu haben, dass ihr Job ihr Mitgefühl mit den Trauernden beeinträchtigte. Es gab kein richtiges oder falsches Verhalten im Umgang mit den Angehörigen von Mordopfern. Jedes Individuum verarbeitete die Dinge unterschiedlich: Manche waren überwältigt, andere zu schockiert, um es zu begreifen, wieder andere negierten das Geschehen, und manche – die schwersten Fälle – brachen gänzlich zusammen.
Sie selbst hatte immer noch mit dem Umstand zu kämpfen, einen Elternteil vor der Zeit verloren zu haben, daher konnte sie sehr gut nachfühlen, was ein solcher Verlust bedeutete. Die Betäubung, die Wut, die Schuldgefühle. Die schreckliche Depression, die sie früher immer für eine Modekrankheit gehalten hatte, genau wie Stress. Sie musste an das kleine Schild denken, das sie in ihrem Büro hängen hatte. Stress entsteht, wenn sich der Verstand über eines der elementaren Grundbedürfnisse des Körpers hinwegsetzt: ein Arschloch windelweich zu prügeln, das verzweifelt danach verlangt!
Daniels fragte sich, ob die Frau ihr gegenüber jetzt auch das Bedürfnis verspürte, jemanden windelweich zu prügeln. Monica Stephens zeigte nur wenig Gefühl für eine Frau, deren Ehemann gerade brutal ermordet worden war. Andererseits war sie keine vierundzwanzig Stunden zuvor mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Hand, die Tasse und Untertasse hielt, war ruhig, das Make-up tadellos, kein Haar hatte sich aus der Frisur gelöst, noch waren irgendwelche Tränenspuren zu sehen.
»Ihr Verlust tut mir so leid …«, sagte Daniels sanft.
»Danke. Sie sind sehr freundlich.« Monica Stephens sprach zwar mit deutlichem Akzent, beherrschte die englische Sprache jedoch exzellent. Ihre Stimme war nicht gebrochen, sie sprach zusammenhängend, entspannt. Auf dem Tisch zwischen ihnen lag aufgeschlagen eine Ausgabe des Magazins »The Lady«.
Daniels fand das einigermaßen seltsam. Es war die aktuelle Ausgabe, die erst heute Morgen herausgekommen war. Also keine Depression. Hier war eine Frau, die nicht nur das Betreuungsangebot der Polizei ausgeschlagen, sondern auch noch Zeit gefunden hatte, ihr Lieblingsmagazin zu lesen, während die halbe Polizei nach dem bewaffneten Kerl suchte, der ihrem Mann das Lebenslicht ausgepustet hatte. Das war befremdlich.
»Nehmen Sie es«, sagte Monica, die Daniels’ Interesse an dem Magazin bemerkt hatte. »Ich konnte nicht schlafen und habe es – wie sagt man – von vorne bis hinten gelesen.«
Daniels betrachtete die Frau, bis diese meinte, nicht länger schweigen zu können. »Ich kann einfach nicht glauben, dass das passiert ist, Detective. Mein Ehemann war ein guter Mensch. Alle mochten ihn. Warum sollte irgendjemand so etwas tun?«
Tja, warum? Das war in der Tat die Frage.
»Hatte Mr. Stephens in letzter Zeit irgendwelche Probleme, bei der Arbeit oder zu Hause?«
»Nein!«, antwortete Monica scharf, als sei die Frage vollkommen albern. »Finanziell ging es uns sehr gut, Alan und mir. Unser Geschäft ist überaus erfolgreich. Er war Unternehmer, und zwar ein guter. Er hat sein Geschäft von ganz unten aufgebaut, wie Sie sehen können. Er hat dieses Haus gehasst. Hat immer gesagt, hier aufzuwachsen wäre ein Albtraum gewesen. Das war es, was ihn angetrieben hat, denke ich.«
Daniels sah sich um, konnte keinerlei Insignien des Wohlstandes entdecken. Eher
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