Hannah, Mari
fälschlicherweise beschuldigen.«
Daniels runzelte die Stirn. »Ja, wie Frauen das bekanntlich immer tun. Hört sich mehr nach einem Mann mit einem schlechten Gewissen an, wenn du mich fragst.«
»Nein.« Gormley schüttelte den Kopf. »So wie er das erzählt, hat er nur versucht, sich abzusichern, und ich glaube ihm übrigens auch. Er hat gesagt, Jo sei in einem grauenvollen Zustand gewesen, ihre Strümpfe zerrissen, und sie sei wegen irgendetwas vollkommen aufgelöst gewesen. Er hat mir beschrieben, was sie angehabt hat und um welche Uhrzeit er sie abgesetzt hat. Was er mir erzählt hat, passt genau mit der Aussage zusammen, die Andy von Mrs. Collins eingeholt hat. Aber viel wichtiger ist, dass er ein verdammt guter Zeuge für uns sein wird. Seine Aussage nagelt Jo weniger als eine Meile vom Tatort entfernt fest, und zwar in etwa zum fraglichen Zeitpunkt.«
»Mit anderen Worten: ein Spaziergang von zehn Minuten.« Bright blies die Wangen auf und ließ die Luft entweichen, was den Raum mit einem abgestandenen Geruch nach Bier und Zigaretten füllte. Er stand auf und fing an, auf und ab zu gehen. Gormleys Worte hatten seine Fantasie angeregt. »Richtig! Ich kauf ihr diesen Amnesie-Quatsch nicht ab. Du wirst Soulsby nicht noch mal im Krankenhaus vernehmen, ist das klar, Kate? Falls sie Stephens nicht umgebracht hat, weiß sie vielleicht, wer es war.«
Daniels versuchte, auch mal zu Wort zu kommen. »Chef, ich glaube wirklich …«
Aber Bright war noch nicht fertig. »Psychologen haben doch ständig Kontakt mit unerwünschten Elementen, das ist ihr Job. Sobald sie entlassen ist, will ich sie hier in Untersuchungshaft haben. Ja, ich glaube, ich knöpf sie mir mal selbst vor.«
Daniels sah, wie Gormleys Kiefer sich anspannte, als Bright jeden Einwand niederbügelte, ohne einen Gedanken an Daniels’ Position als Ermittlungsleiterin zu verschwenden. Er wollte gerade etwas sagen, als Bright ihm so hart auf den Rücken schlug, dass er beinahe keine Luft mehr bekam, um ihm zu seinem Erfolg zu gratulieren.
»Wissen wir, wann sie entlassen werden soll?«, fragte er.
Als Daniels nicht antwortete, tat Gormley es für sie. »Spätestens in ein paar Tagen.«
Daniels fühlte sich jetzt wirklich in die Enge getrieben. Sie wollte, dass Bright aufhörte, wollte die Uhr zurückdrehen. Wie hatte sie sich nur in diesen Schlamassel hineinreiten können? Viel wichtiger, wie sollte sie sich da wieder herausziehen?
»Entschuldigt mich mal eine Sekunde«, sagte sie und stand auf. »Bin gleich wieder zurück.«
Sie verließ ihr Büro und ging über den Flur zur Damentoilette. Zum Glück war dort niemand sonst. Sie ging hinein und schloss die Tür hinter sich ab, drehte den Wasserhahn auf und spritzte sich mit zusammengelegten Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Als sie den Kopf vom Waschbecken hob, bot das Bild, das sie im Spiegel sah, keinen hübschen Anblick. Eine Million Ungewissheiten durchfluteten ihren Kopf. So viele Fragen, keine davon mit einer Antwort: Konnte irgendetwas davon wahr sein? War Jo wirklich in der Lage, einen Mord zu begehen?
War das nicht jeder?
Aber warum hatte sie es dann nicht kommen sehen?
Würde sie, konnte sie ihr jetzt beistehen?
Ein paar Minuten vergingen, dann platzte sie wieder in ihr Büro, sah wesentlich weniger niedergeschlagen aus und fühlte sich auch so. Bright ignorierend feuerte sie direkt eine Frage auf Gormley ab und betete gleichzeitig darum, dass die Antwort zu ihren Gunsten ausfiele: »Hat Bob George Alan Stephens abgeholt oder nicht?«
Ein Glitzern trat in Gormleys Augen. »Zufälligerweise ja. Er hat Stephens kurz vor Mitternacht abgesetzt und Jo ein paar Stunden später mitgenommen.«
Daniels wandte sich Bright zu. »Dann haben wir ein Kontaminationsproblem.«
51
»Immer noch Probleme zu Hause?«, fragte Daniels.
An dem Schild nach Tynemouth fuhr sie vom Motorway ab und rechnete schon fest damit, in einem wohlbekannten Nadelöhr im Stau zu stehen, bevor sie auf die Küstenstraße kam. Glücklicherweise zu Unrecht. Neue Verkehrsampeln hatten in den letzten Monaten viel verändert, und die Straße vor ihr war frei. Sie warf einen Blick zur Seite. Bright war auf dem Beifahrersitz zusammengesackt und starrte, tief in Gedanken versunken, vor sich hin. Entweder hatte er sie nicht gehört oder beschlossen, ihre Frage zu ignorieren.
»Nimm mal Urlaub, Chef. Ich komm schon zurecht.«
»Und wofür? Um Stella zum Tanzen auszuführen?«
Seine Worte saßen. »Chef, es tut mir leid,
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