Hannah, Mari
ich wollte nicht …«
Bright fuhr sich mit der linken Hand durchs Haar und stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Tut mir leid, ich wollte nicht so bissig sein. Ich bin es, der sich entschuldigen müsste.«
»Nicht nötig. Ich hab ein breites Kreuz. Ich komme nach meinem Boss, schon vergessen?«
»Du warst mir eine große Hilfe in den letzten Monaten, Kate. Ich weiß nicht, wie …«
»Chef, ich mach mir Sorgen um dich.«
»Tu’s nicht, Kate. Bitte. Ich könnte dein Mitleid nicht ertragen.«
Er verfiel wieder in Schweigen, während sie einen kurzen Tunnel passierten und dann einen sanften Anstieg hinauffuhren. Die Fahrer vor ihnen gebrauchten ihre Bremsen, als die Radarfallen in Sicht kamen, um sogleich wieder zu beschleunigen, als nicht mehr sechzig Pfund Bußgeld und drei Punkte auf dem Führerscheinkonto drohten. Daniels tat es ihnen gleich und beschloss, das Thema fallen zu lassen. Es war nicht die richtige Zeit, um mit ihm zu reden und ihn zur Besinnung zu bringen. Sie fragte sich, wie lange er wohl getrunken hatte, wünschte, er hätte sich darauf eingelassen, bei jemandem vom medizinischen Dienst um Rat zu fragen.
Jo kam da offensichtlich nicht in Frage, leider.
Daniels warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Besuchszeit. Sie konnte es noch schaffen, wenn sie sich beeilte. Aber der Mann, der neben ihr saß, hatte es strikt verboten. Wie sollte sie Jo nur wissen lassen, dass sie nicht mehr zu ihr kommen durfte? Während sie darüber nachgrübelte, glitten die Meilen still vorüber; keiner von ihnen war zum Plaudern aufgelegt. Sie fuhr wie auf Autopilot, und als sie an Brights Haus ankamen, konnte sie sich kaum noch an die Fahrt erinnern.
Die Vorhänge waren bereits zugezogen, und es brannte Licht. Stellas Pflegedienst war offensichtlich schon fleißig gewesen, hatte sie hoffentlich gefüttert und für den Abend fertig gemacht. Umso besser, dachte Daniels. Er war jedenfalls kaum in dem Zustand, sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern – zumindest heute Abend nicht. Sie stellte den Motor ab, aber er machte keine Anstalten, aus dem Auto zu steigen, sondern drehte sich zu ihr um. »Wir haben mal einen Salsa-Wettbewerb gewonnen, Stella und ich.«
Daniels lächelte, konnte sich ihn aber nicht dabei vorstellen, wie er das Tanzbein schwang. »Das hast du nie erzählt. Wie lange kennen wir uns schon?«
»Erzähl das weiter, und du bist nicht mehr bei der Polizei.«
Daniels tippte sich mit dem Finger an die Nase. »Dein Geheimnis ist bei mir sicher, Chef.«
»Das will ich hoffen.« Er sah zum Haus hinüber.
»Soll ich noch mit reinkommen, Chef?«
Ihr Telefon klingelte, sie fluchte. Auf dem Display stand: RON. »Was dagegen, wenn ich drangehe? Es ist Naylor.«
Bright sah sie einen Moment lang an, schüttelte den Kopf und stieg aus. Daniels schaute ihm nach, als er schwerfällig den Weg zur Haustür entlangtrottete und hineinging, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
»Ron. Was gibt’s?«
»Du wirst es nicht glauben.« Naylors Stimme bebte beinahe. »Wir haben noch einen. Birmingham dieses Mal. Ein Typ namens Malik. Selber MO. Selbe Handschrift – eine Andachtskarte am Tatort.«
52
Daniels konnte sich kaum beherrschen, als sie zum Krankenhaus fuhr, während Ron Naylors Worte ihr noch in den Ohren klangen: Ein weiterer Tatort … ein weiteres Mordopfer … eine weitere Andachtskarte, dieses Mal bei einem asiatischen Mann mittleren Alters namens Jamil Malik. Auch wenn er beträchtlich gealtert war, glaubte Naylor sicher, dass es sich um denselben Mann handelte wie auf dem Zeitschriftenausschnitt, den man erst vor zwei Tagen ausdrücklich zu ihren Händen abgegeben hatte – ein Vorfall, den sie als kranken Scherz abgetan hatten.
Was, wenn es das nicht war?
War der Mörder von Father Simon und Sarah Short schließlich doch wieder aufgetaucht? Machte er sich über sie lustig? Sagte er ihr, sie solle ihrem Bauchgefühl folgen? Die Vorstellung, dass sie endlich auf der richtigen Spur war, erfüllte sie mit Freude. Doch bevor sie sich darum kümmern konnte, hatte sie noch etwas zu erledigen, was genauso wichtig war.
Informationen zurückzuhalten war eine Sache; einem ausdrücklichen Befehl zuwiderzuhandeln eine andere, etwas wesentlich Ernsteres, wenn man zufällig Bright zum Chef hatte. Trotz ihrer engen Arbeitsbeziehung war er jemand, den man besser nicht verärgerte. Daniels betrat den Aufzug des Krankenhauses in dem klaren Bewusstsein, dass ihre vielversprechende Karriere so gut wie
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