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Hannahs Briefe

Hannahs Briefe

Titel: Hannahs Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronaldo Wrobel
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liebsten hätte er mit den Fäusten gegen die Wände gehämmert, die Fensterscheiben zertrümmert und Franz Braun den Schädel eingeschlagen. Was war bloß so faszinierend an diesem Scheusal? Er warf sich aufs Sofa. Die alten Traumata erwachten zu neuem Leben, Erinnerungenan schmerzhafte Lektionen flammten wieder auf. Und die wichtigste von allen – erkenne deine Grenzen – war Voraussetzung für eine andere: Halte dich an sie. So lautet die oberste Regel im Tierreich. Der Löwe zum Beispiel hat keine Angst vor dem Vogel, dafür aber vor dem Abgrund. Der Vogel hat Angst vor dem Löwen, aber nicht vor dem Abgrund. Und Max sah, wie der Löwe und der Abgrund Arm in Arm im Mondlicht davonliefen und das arme Vögelchen allein zurückließen.
    O Gott, wie sollte man sich damit abfinden, dass den einen zufällt, wovon andere vergeblich träumen? Warum waren die Verhältnisse so ungleich wie Teile eines Puzzles, die erst dann zusammenpassten, wenn man sie verstümmelte, grob zurechtflickte und mit plumpen Tricks arbeitete?
    Max war tief gekränkt. Vor kurzem noch hatte er geglaubt, Hannah hege keinerlei Gefühle für irgendeinen Mann. Damit hatte er sich trösten können, als einer von vielen zurückgewiesen zu werden, jetzt jedoch bekam das Ganze eine sehr persönliche Note. Wie weh das tat!
    Nein, Hannah spielte niemandem etwas vor. Sie mochte den Deutschen wirklich, offenbar war sie seinen Senecas und Voltaires tatsächlich erlegen. Wo wollten sie um diese Uhrzeit hin, und um was zu tun? Max malte sich die schlimmsten Schweinereien aus, die beiden irgendwo im Freien … Oh nein! Es war die reinste Hölle, der Schuhmacher machte Schreckliches durch. Er versuchte sich abzulenken, nahm einBad, schnitt sich die Fingernägel. Noch um drei Uhr morgens lief er im Zimmer auf und ab. Und wenn Franz sie ins Gebüsch gezerrt und erwürgt hatte? Wenn er herausgefunden hatte, dass sie eine Spionin war, und ihr wichtige Geheimnisse entlockt hatte? Oder wenn – und das war die schrecklichste Vorstellung von allen – die beiden glücklich aneinandergeschmiegt irgendwo lagen? Von Panik ergriffen, brüllte er los. O Gott!
    Max zog einen Morgenrock über, schlüpfte in seine Pantoffeln und lief planlos durch das Hotel. Nachdem er im Foyer dem Concierge mit Fragen und Beschwerden auf die Nerven gegangen war, wagte er sich hinaus in den Garten und entdeckte dort eine Gestalt, die dem schwarzen Kellner ähnelte, den Hannah beschimpft hatte, um Franz Braun auf sich aufmerksam zu machen. Dieses Miststück! Was, wenn der arme Kerl deswegen seine Arbeit verloren hatte?
    Als er ins Foyer zurückkam, erschrak er. Von einer Rauchwolke umhüllt, saß Marlene in einen Sessel gefläzt und sah aus wie ein Gespenst. Max ging mit kleinen Schritten auf sie zu und setzte sich in den Sessel neben ihr. Ohne ihn anzusehen, bot sie ihm eine Zigarette an. Stundenlang saßen sie da und rauchten, ohne ein Wort. Was gab es schon zu bereden? Worte waren doch nur irreführend. Sollten Franz und Hannah sich an ihnen satthören, wo immer sie auch waren. Mit jeder leeren Schachtel zog Marlene eine neue hervor, bis es hell wurde und die ersten Gäste im Foyer erschienen.
    Und genau in jenem Sessel, in Nikotinschwaden versunken, weit entfernt vom Paradies, geschah etwas Unerwartetes. Max verspürte ein vages, aufrichtiges Gefühl der Erleichterung, eine betäubende Gleichgültigkeit. Weder Traurigkeit noch Freude, weder Himmel noch Hölle. Nur Benommenheit und Zufriedenheit, ein Sich-Anpassen an die Welt, an sich selbst, an den Sessel, in dem er saß. Er sah ein Buch in Marlenes Schoß liegen und wollte gerade nach dem Titel fragen, da platzte es aus ihr heraus:
    »Mich wundert, dass Sie so tatenlos zusehen.«
    »Was meinen Sie?«
    Marlene sah ihn ausdruckslos an. Sie zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Sie wissen, was ich meine.«
    Max tat erstaunt. »Was soll ich wissen?«
    Marlene antwortete nicht und blies stattdessen Rauch aus. Max ließ den Kopf sinken.
    »Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich leide.«
    »Nicht so sehr wie ich. Er ist ständig hinter anderen Frauen her. Ständig! Er ist unersättlich, ein Stier, ein Wahnsinniger.« Sie aschte auf den Boden. »Vor gar nicht langer Zeit erst hat er sich in Kiruna mit drei Huren vergnügt, und zwar mit allen dreien gleichzeitig! Es ist immer dasselbe. In Narvik war es nicht anders. Ob verheiratet, alleinstehend, Witwen, Huren oder Betschwestern! Franz ist alles egal.« Marlene geriet in Rage. »Oder

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