Hannahs Entscheidung
meinte Violet, während ihr wachsamer Blick pfeilschnell zwischen den beiden Frauen hin- und herschoss. »Ich möchte keinen Streit in meinem Geschäft.«
»Tja, ich muss weiter. Schönen Tag noch, Violet.« Glorias Pfennigabsätze klapperten über die Steinfliesen Richtung Tür. Hannah und Violet blieben in einer Parfümwolke zurück.
Violet schüttelte ihr graues Haupt. »Eine unangenehme Person, diese Gloria Turner. Allein, wie sie sich kleidet. Skandalös, finden Sie nicht auch ?« Zustimmung heischend schürzte sie die Lippen.
Hannah zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln. Sie hatte nicht die Absicht, mit Violet über Gloria zu sprechen. Sie wollte diesen unangenehmen Zwischenfall hinter sich lassen und so schnell wie möglich nach Charlotte aufbrechen. »Haben Sie die Pralinen gefunden?«
»Ach ja, natürlich.« Violet präsentierte ihr eine längliche Schachtel. »Hier, bitte. Sind das die richtigen ?«
Hannah warf einen raschen Blick auf die Verpackung und nickte. »Wunderbar. Was bekommen Sie dafür?«
*
Eliza Mae schloss ihre Enkelin fest in die Arme und hielt sie, als wollte sie Hannah niemals wieder gehenlassen. Nach einer Weile löste sie sich widerstrebend. Ihre Augen brannten ein bisschen, als sie Hannah aufmerksam musterte.
»Wie schön, dich endlich wiederzusehen, Herzchen! Du bist so hübsch wie eh und je. Hast dich kaum verändert.« Sie lächelte. »Vielleicht ein wenig dünn.«
Sie hatte Hannah so sehr vermisst. Wie sehr, wurde ihr in diesem Moment wieder schmerzlich bewusst. Hätte doch ihr dummer Stolz sie nicht davon abgehalten, Kontakt mit Hannah aufzunehmen. Warum hatten sie so viel Zeit vergeudet?
Hannah war das Einzige, das ihr von ihrer geliebten Holly geblieben war. Wie hatten sie es nur so weit kommen lassen können? Sie würde Hannah niemals wieder aufgeben. Während sie ihre Enkelin betrachtete, wurde die alte Dame von einer Welle der Zärtlichkeit durchflutet. Tränen quollen aus ihren Augen, die sie mit einer ungeduldigen Handbewegung wegwischte.
»Bitte weine nicht, Nana .« Hannah strich ihr sanft über die faltige Wange.
Oh, wie sehr hatte sie es vermisst, ihn zu hören, Hannahs Kindheitskosenamen für sie. Überwältigt von Gefühlen schnappte sie nach Luft.
»Was ist mit dir, Nana? Soll ich nach der Schwester klingeln?« Hannahs Augen weiteten sich angstvoll. »Vielleicht überfordere ich dich mit meinem Besuch?«
Eliza Mae ließ sich zurück in die weichen Kissen sinken. Sie legte eine Hand auf ihre bebende Brust. »Nein, Liebes. Du überforderst mich keineswegs.« Sie schenkte Hannah ein Lächeln durch den Tränenvorhang. »Und es ist nicht nötig, die Schwester zu rufen. Es ging mir schon lang nicht mehr so wunderbar wie gerade in diesem Augenblick.«
Hannah betrachtete sie zweifelnd. »Das meinst du doch nicht im Ernst?«
Eliza tastete nach Hannahs Hand. »O doch, das tue ich.« Voller Zärtlichkeit betrachtete Eliza die junge Frau, die an ihrer Bettkante saß. Endlich hatten sie sich wiedergefunden. Großmutter und Enkelin. Vereint nach so vielen Jahren. Eliza war überglücklich, dass sie in Hannahs Augen nicht nur Sorge und leises Bedauern, sondern auch tiefe, bedingungslose Liebe entdeckte.
*
»Und du, Liebes? Wie geht es dir?« Ellies Augen wanderten an Hannahs Körper hinab. Die unausgesprochene Frage hing schwebend in der Luft.
Unwillkürlich legte Hannah ihre Hände auf den Bauch. »Gut«, erwiderte sie leise.
»Erzähl mir von dir«, bat Ellie. »Ich bin neugierig. Diese Leute in Willow Creek, bei denen du Unterschlupf gefunden hast, woher kennst du sie, wer sind sie?«
Hannah nahm Ellies unversehrte Hand in ihre. Ein kleines Pflaster auf dem anderen Handrücken hielt eine Nadel, an die ein Schlauch für eine Infusion angeschlossen war. Vermutlich wurden ihrer Großmutter Kochsalzlösung und Schmerzmittel verabreicht. »Erst einmal möchte ich hören, was mit dir los ist. Was sagen die Ärzte? Wann kannst du das Krankenhaus verlassen?« Mit strengem Blick musterte sie ihre Großmutter. »Und beschönige nicht wieder alles!«
Hannah gab sich betont munter, aber in Wirklichkeit war sie erschrocken, ihre Großmutter so zart und gebrechlich im Krankenhaushemd zwischen den weiß-gelb gestreiften Laken vorzufinden. Auf einmal saß ihr ein dicker Kloß in der Kehle. Sie fühlte sich von tiefer Liebe zu der alten Dame überwältigt. Ellie schien geschrumpft zu sein, fast ein Schatten ihres alten Selbst. Die Zeit bleibt nicht
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