Hannahs Entscheidung
einschätzen zu können, oder nicht? Als sie nach etlichen Minuten des Grübelns das Viehgatter passiert hatte, beschloss Hannah, die nagenden Zweifel beiseitezuschieben. Der Toyota holperte durch den lichten Kiefernwald. Gleich würde sie Green Acres durch die Baumstämme hindurchblitzen sehen. Ihr Herz klopfte erwartungsvoll.
30. Kapitel
I hre Hand zitterte ein bisschen, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Angenehm kühle Luft empfing sie im Flur. Sie schlüpfte aus ihren Sandalen, legte Handtasche und Schlüssel auf dem runden Tischchen im Eingangsbereich ab. »Sam?« Erwartungsvoll spähte sie ins Wohnzimmer, in der Hoffnung, ihn vor dem Kamin in seinem Ledersessel vorzufinden. Doch diesmal brannte kein einladendes Feuer. Auch in der Küche war er nicht. Erst jetzt fiel ihr auf, dass es geradezu gespenstisch still im Haus war. Aber sein Land Rover parkte in der Einfahrt, also musste er auf Green Acres sein. Vielleicht war er draußen bei den Tieren? Sie fand ihn schließlich auf der Veranda ans Geländer gelehnt, ein Glas in der Hand haltend, in dem eine goldgelbe Flüssigkeit funkelte. Das späte Sonnenlicht tauchte die Umgebung in ein fast unwirkliches märchenhaftes Leuchten. Grillen zirpten im Gras, und im nahen Wäldchen zwitscherten Vögel. Der harzige Duft von Kiefern lag in der feuchtwarmen Luft, irgendwo grollte leiser Donner.
»Hi«, sagte sie fast schüchtern, als sie auf ihn zutrat. Hatte er sie nicht gehört? »Sam, hi«, wiederholte sie. Noch immer reagierte er nicht, sondern fuhr fort, hinüber zu den Bergen zu starren, deren Gipfel sich in violettschwarze Wolken hüllten. »Es scheint, dass wir bald ein Gewitter bekommen«, bemerkte Hannah, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. Irritiert flocht sie ihre Finger ineinander. Warum verhielt sich Sam so seltsam? So, als wäre sie gar nicht vorhanden? Sie räusperte sich.
Als er endlich den Kopf drehte, um sie anzusehen, setzte ihr Herzschlag für einen Moment aus. Sie erschrak über seinen harten unversöhnlichen Blick.
»Mein Gott, Sam, was ist los?«
»Gibt es nicht etwas, das du mir hättest sagen sollen?« Beim Klang seiner eisigen Stimme kroch eine Gänsehaut über ihren Rücken.
»Was meinst du?«, flüsterte sie, obwohl sie im gleichen Moment eine dunkle Ahnung beschlich. Unwillkürlich glitt eine Hand an ihren Bauch. Sein Blick folgte ihrer Bewegung.
»Ich spreche von deiner Schwangerschaft. Davon, dass du ein Kind erwartest.«
Sie schluckte. »Es tut mir leid. Ich hätte es dir sagen müssen. Aber das hatte ich heute Abend auch vor. Das musst du mir glauben, Sam.«
»Tatsächlich?« Er nahm einen Schluck von seinem Getränk. »Findest du das nicht ein bisschen spät? Erst verdrehst du mir den Kopf, um mir dann zu sagen …« An seinem Hals zuckte eine zornige Ader.
»Sam.« Verdammt. Die ganze Sache begann falsch. Völlig falsch.
»Was?« Seine Miene drückte Enttäuschung und Wut gleichermaßen aus. In seinen Augen spiegelte sich der finstere Himmel. »Hast du angenommen, du plauderst beim Abendessen ein wenig mit mir, erwähnst so nebenbei dein Kind und wir stoßen darauf an?«, fuhr er sie zornig an. Er leerte sein Glas. »Ich kann das nicht. Sorry. Ich bin raus.« Krachend schlug die Fliegengittertür hinter ihm zu.
Hannahs Herzschlag pochte wild und laut in ihren Ohren, als sie wie betäubt hinab auf die Wiese starrte. Winzige Sonnenflecken tanzten darauf, doch das tiefe Donnergrollen rückte näher.
Fertig. Sie knallte die Schrankschiebetür ein wenig fester zu als beabsichtigt. Anschließend stemmte sie die Hände in die Hüften und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie hatte das Bett abgezogen, die Wäsche fein säuberlich zusammengefaltet und auf der Kommode abgelegt. Ihre wenigen Habseligkeiten waren in der Reisetasche verstaut. Nichts im Zimmer deutete mehr auf ihren Besuch hin. Selbst die Jalousie hatte sie wieder genauso heruntergelassen, wie sie sie zum Zeitpunkt ihrer Ankunft vorgefunden hatte. Hannah verbot sich jeglichen sentimentalen Gedanken. Sie hatte schlecht geschlafen, fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Sie hatte nicht damit gerechnet, von Sam derart brüsk abgewiesen zu werden. Natürlich war sie nicht davon ausgegangen, dass er ihr jubelnd um den Hals fallen würde, wenn er von dem Kind erfuhr. Sie hatte jedoch erwartet, dass sie zumindest darüber sprechen würden. Dass er sie anhören würde. Anscheinend hatte sie sich in ihm getäuscht.
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