Hannahs Entscheidung
wünschen, sagen Sie bitte Bescheid.«
»Danke, Schätzchen.« Glorias Blick streifte Hannah, aber es war offensichtlich, dass sie nur Augen für Sam hatte. »Also Sam, wo waren wir stehen geblieben?«
Einen entnervten Laut unterdrückend, klemmte sich Hannah das Tablett unter den Arm und zog sich zurück. In der Abgeschiedenheit der kleinen Küche verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte nach draußen. Jähe Sehnsucht nach der tröstlichen Geborgenheit von Fairview überfiel sie. Ihr schoss durch den Kopf, dass sie Ellie wegen der verzögerten Abreise Bescheid geben musste. Sicherlich würde ihre Großmutter enttäuscht sein. Genauso wie sie selbst. Aber es ließ sich nun einmal nicht ändern. »Verdammter Mist«, murmelte Hannah. Zurzeit schien einfach alles schiefzulaufen.
»Was ist los?« Tayanita stand in der Tür. »Du bist ein wenig blass um die Nase. Möchtest du dich vielleicht setzen?« Die Indianerin kam näher, berührte Hannah sacht am Arm.
Hannah blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zu vertreiben. »Ach, nein. Ich bin okay. Wirklich.« Sie zupfte an ihrer weißen Baumwollschürze herum, die eigentlich tadellos saß. »Es ist nur – manche Gäste sind etwas anstrengend.«
»Du spielst auf Gloria Turner an?« Tayanita hob belustigt eine Augenbraue. »Sie ist in der Tat sehr, nun, sagen wir speziell. Lass dich von ihr nur nicht verrückt machen. Sie kocht auch nur mit Wasser, obwohl sie denkt, dass beim Gehen Gold an ihren Füßen glitzert.« Mit dieser Bemerkung gelang es ihr, ein kleines Lächeln auf Hannahs Gesicht zu zaubern.
Hannah hatte jedoch nicht die auffällige Blondine im Sinn gehabt, sondern einen gewissen Mann, der es immer wieder schaffte, sie zu verwirren. Einen arroganten, unverschämten Mann, der zu Tayanitas Freunden zählte. Hannah beschloss, die Freundin in dem Glauben zu lassen, sie hätte ins Schwarze getroffen. »Du hast recht. Gloria ist ein anspruchsvoller Gast. Aber ich kriege das schon hin.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich bin einfach ein bisschen erschöpft. Es ist nichts weiter.« Wem machte sie eigentlich etwas vor? Nichts war in Ordnung. Ihr Leben stand Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Welche Entscheidung die richtige war. Sie sehnte sich danach, in Ellies liebevolle Arme zu flüchten. Vielleicht würde sie dort Antworten auf ihre Fragen finden.
»Kein leichter erster Arbeitstag, nicht wahr?« Tayanita trat an die Spüle und drehte das Wasser auf.
»Nein.« Nicht nur dieser Tag, ihr ganzes Leben war auf einmal kompliziert geworden. Hannah sah zu, wie sich Tayanita ein Glas mit Leitungswasser füllte. Glorias lautes Lachen drang zu ihnen in die Küche. »Sag mal, diese Gloria …«
»Ist wirklich ein Fall für sich«, vervollständigte Tayanita Hannahs Satz. Sie drehte sich schmunzelnd um und nahm einen Schluck aus ihrem Glas.
»Wer ist sie? Was hat sie mit deinem Freund Sam zu tun?«
»Gloria Turner ist als Kind einfacher Eltern in Willow Creek geboren und aufgewachsen. Sie strebte schon immer nach Höherem. Nach der Highschool zog sie nach Atlanta, um Betriebswirtschaft zu studieren. Soweit ich weiß, verbrachte sie ein paar Jahre im Ausland. Seit einigen Jahren ist sie wieder zurück und verdient ihren Lebensunterhalt als Maklerin. Sie vermittelt Häuser und Anwesen hauptsächlich an wohlhabende Kunden, die sich im Süden niederlassen wollen. Nun ja«, Tayanita zwinkerte Hannah verschwörerisch zu, »wenn man sich den ganzen Tag mit Reichen und Schönen umgibt, hält man sich irgendwann selbst dafür.«
»Was verbindet sie mit Sam Parker?« Hannah wusste selbst nicht, warum diese Frage sie so brennend zu interessieren schien.
»Die gute Gloria hat ein Auge auf Sam geworfen. Seit Jahren versucht sie, ihn für sich zu gewinnen, insbesondere seit …« Tayanita hielt inne und fixierte das Glas, das sie in der Hand hielt. »Bisher hat sie sich an Sam allerdings die Zähne ausgebissen. Was sie allerdings nicht daran hindert, es weiterhin zu probieren.«
»Sie legt sich mächtig ins Zeug«, meinte Hannah, wobei sie sich fragte, was Tayanita ihr verschwieg. »Es dürfte ihm nicht leichtfallen, ihren Reizen zu widerstehen.« Ihrer Meinung nach entsprach diese Gloria genau dem Typ Frau, dem die Männer gern nachblickten. Welches männliche Wesen würde sich nicht geschmeichelt fühlen, von einer langbeinigen sexy Blondine umgarnt zu werden? Sam Parker war sicher keine Ausnahme.
»Sam?« Amüsiert hob Tayanita die Brauen.
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