Hannahs Entscheidung
»Oh, ich glaube, da täuschst du dich. Er hat andere Dinge im Kopf als die verführerischen Rundungen einer Gloria Turner. Seit vor vier Jahren …« Abermals verstummte sie. Plötzlich wirkte sie, als wäre sie mit ihren Gedanken meilenweit entfernt.
»Was ist vor vier Jahren geschehen?«
Tayanita überging ihre Frage mit einem sanften Lächeln. »Sei so lieb und spüle die Weingläser, die neben der Spüle stehen, mit der Hand. Sie sind mir zu empfindlich für die Spülmaschine. Ich gehe in der Zwischenzeit nachsehen, ob die beiden drüben noch einen Wunsch haben.«
Hannah drehte das heiße Wasser auf. Es war offensichtlich. Tayanita wollte oder konnte mit ihr nicht darüber sprechen, was vor vier Jahren in Sam Parkers Leben geschehen war. Und wenn schon. Es ging sie nichts an. Sie gab einen großzügigen Schuss von dem zitronig duftenden Spülmittel ins Wasser. Außerdem, was kümmerte es sie, ob Gloria es am Ende schaffte, Sams Interesse zu entfachen? Behutsam nahm sie eines der filigranen Gläser in die Hand und tauchte es in die Seifenlauge.
12. Kapitel
D ie langen Beine unter dem Wohnzimmertisch in Marietta ausgestreckt, nippte Shane an seinem Kaffee. Ah, herrlich! Heiß und süß. Ein Kaffee war einfach kein Kaffee ohne einen anständigen Haufen Zucker darin. Hannah schalt ihn immer wegen seines übertriebenen Zuckerkonsums, und oft genug hatte sie die Zuckerdose deshalb vor ihm versteckt. Aber Hannah war nicht da, und deshalb entsprach das dunkle Gebräu heute genau seinem Geschmack. Dies allerdings war das einzig Positive, was die Abwesenheit seiner Frau betraf. Seine Kleidung begann langsam zu müffeln. Er machte sich nicht die Mühe, frische Klamotten rauszusuchen, das hatte Hannah stets für ihn getan. Die Waschmaschine war ein Buch mit sieben Siegeln, er traute diesem glucksenden, pumpenden Ungeheuer nicht über den Weg. Welche Knöpfe galt es zu drücken, welchen Schalter zu drehen, damit grauverschleierte, schmierige, miefende Kleidungsstücke in strahlend frische, wohlduftende Wäsche verwandelt wurden? Er war nun einmal keine verdammte Hausfrau, sondern ein Rocker. Die mussten so etwas nicht wissen. Herrgott noch mal!
Nebenan in der Küche stapelten sich haufenweise schmutzverkrustetes Geschirr, leere Bierflaschen und Getränkedosen. Das Haus war ein Drecksloch. Der muffige, abgestandene, leicht ranzige Geruch, der in der Luft hing, war selbst ihm zuwider. Es war an der Zeit, dass Hannah zurückkehrte. Erst jetzt, wo sie nicht mehr da war, fiel ihm auf, wie viel Arbeit in so einem Haushalt steckte. Unmöglich, dass er das allein schaffte. Er hatte keine Ahnung von diesen Dingen. Warum musste sie erst abhauen, bevor ihm klar wurde, was sie alles für ihn getan hatte? Verflucht Hannah, komm endlich heim! Er brauchte sie doch. Und nicht nur wegen des beschissenen Haushalts. Er stöhnte leise auf. Verflixte Kopfschmerzen. In der letzten Zeit schienen sie sich zu häufen. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, klar zu denken. In seinem Schädel waberte ein undefinierbarer, wirrer Gedankenbrei. Was angesichts der Tatsache, dass es permanent gegen seine Schläfen pochte und hämmerte, als würde da oben ein Gerüst aufgebaut, nicht verwunderlich war. Er stellte den eidottergelben Keramikbecher ab und stand auf.
Im Bad kramte er im Arzneischrank nach einer bestimmten Schachtel, atmete auf, als er sie schließlich fand. Mit zitternden Fingern drückte er eine Tablette aus der Aluverpackung, legte sie sich auf die Zunge und warf den Kopf in den Nacken. Zurück im Wohnzimmer spülte er mit einem großzügigen Schluck Kaffee nach. Das kräftige Gebräu floss wie glühende Lava durch seine Kehle. Shit, er hatte vergessen, dass der Kaffee noch heiß war. Kraftvoll knallte Shane den Becher auf den Tisch zurück. Der Kaffee schwappte über, besudelte das vom Sonnenlicht ausgeblichene Plastik der schmuddeligen Tischdecke. Einen lauten Fluch ausstoßend massierte Shane seine Schläfen. Ein Gedanke schoss ihm durchs Hirn, ein brennendes, unstillbares Verlangen. Whiskey. Hannah wollte einfach nicht verstehen, dass es ihm besser ging, wenn er trank. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie leicht und befreit er sich fühlte, wenn ihn die wohlige Wärme des Alkohols einhüllte. Er brauchte das. Warum konnte sie das nicht akzeptieren?
Erneut hob er den Becher an seine Lippen. Diesmal dachte er daran, vorsichtiger zu sein. In Zukunft würde er nicht mehr zulassen, dass Hannah die Zuckerdose vor ihm
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