Hannahs Entscheidung
gab.
22. Kapitel
» M rs. Mitchell? Können Sie mich hören?«
Eliza fuhr sich mit der Zunge über die aufgeplatzten Lippen. Ein Stöhnen entrang sich ihrer trockenen Kehle. Langsam, unendlich langsam, weil in ihren Schläfen ein hämmerndes Pochen einsetzte, sobald sie sich bewegte, drehte sie den Kopf in die Richtung, aus der die sanfte Stimme zu ihr drang.
»Mrs. Mitchell.«
Mühsam öffnete sie die bleischweren Lider. Über ihr schwebte das verschwommene Gesicht eines Engels. »Bin ich im Himmel?«, krächzte sie.
Der Engel lachte leise auf. Es klang wie das Geläut von Silberglocken in ihren Ohren. »Nein, Mrs. Mitchell. Sie befinden sich im Charlotte Memorial . In der Neurochirurgie. Ich bin Jane Simmons, ihre Schwester.«
Erschrocken riss Eliza die Augen auf, versuchte zu fokussieren. Das grelle Tageslicht blendete. »Im Krankenhaus?« Ihre Stimme klang rau und rostig, als hätte sie sie jahrelang nicht mehr benutzt.
»Eine Nachbarin hat sie zu Hause auf dem Boden liegend vorgefunden«, erklärte der Engel namens Jane, der sich nach und nach als junge dunkelhaarige Frau in Schwesterntracht entpuppte. Jane ließ sich auf der Bettkante nieder. »Sie haben eine Kopfverletzung erlitten. Aber keine Sorge«, fügte sie rasch hinzu. »Sie sind bei uns in den besten Händen. Die Polizei hat ebenfalls schon Kontakt mit uns aufgenommen.«
»Polizei?« Elizas Herz schlug einen Takt schneller.
Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch ein glühender, reißender Schmerz in ihrer rechten Schulter, der sich bis in den Brustkorb zog, hinderte sie daran. Das Pochen in ihren Schläfen wurde unerträglich, und so sank sie mit einem kleinen, hilflosen Aufschrei zurück.
»Nicht, Mrs. Mitchell«, beruhigte sie die Schwester. »Bleiben Sie liegen. Regen Sie sich bitte nicht auf. Es ist alles gut.«
Eliza fing an, zwischen der gestärkten Bettwäsche zu frösteln. »Aber was ist geschehen? Warum erwähnen Sie die Polizei? Ist etwas mit Hannah?« Ihre Finger umklammerten das Handgelenk der jungen Frau.
Jane löste sich behutsam aus ihrem Griff. »Es ist alles in Ordnung. Ihre Nachbarin hatte die Polizei verständigt. Diese wird Sie später noch zu dem Vorfall befragen.«
»Shane«, flüsterte sie. »Ich – weiß nicht, was passiert ist, ich …« Ihre Stimme verlor sich.
»Lassen Sie nur. Das hat Zeit. Es wird sich alles finden.« Die Schwester schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Elizas Kehle schnürte sich enger. Sie war normalerweise kein Mensch, der sich so leicht aus der Bahn werfen ließ, aber in diesen Augenblick fühlte sie sich, so hilflos an ein steriles Krankenhausbett gefesselt, schrecklich einsam und verwundbar. Sie tastete nach der Bandage um ihren Kopf.
Jane registrierte ihren fragenden Blick. »Eine Platzwunde an Ihrem Hinterkopf musste genäht werden«, sagte sie. »Sie haben ziemlich viel Blut verloren. Außerdem haben Sie eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Aber Sie befinden sich auf dem Weg der Besserung. Allerdings brauchen Sie jetzt Ruhe, Mrs. Mitchell. Viel Ruhe.« Jane strich mit der flachen Hand glättend über das Laken und erhob sich.
Erschöpft schloss Eliza die Augen, während Janes Worte durch ihren Kopf wirbelten. Polizei … Platzwunde … Blut … Wenn sie sich doch nur erinnern könnte. Shanes Gesicht blitzte vor ihrem geistigen Auge auf. Er hatte nachmittags plötzlich vor der Tür gestanden und sich mit einem Trick Einlass verschafft. Sie hatte ihn nicht hereingebeten, doch er drängte sich an ihr vorbei in den Flur. Anschließend hatte er das gesamte Haus durchkämmt und jeden Winkel abgesucht und sie schließlich im Wohnzimmer in ein Gespräch verwickelt. Die unmissverständliche Forderung, ihren Grund und Boden auf der Stelle zu verlassen, ignorierte er frech. Ihr Herz hatte wild geklopft, während sie versuchte, äußerlich ruhig und souverän zu erscheinen. Hatte sie sich in der Aufregung verhaspelt, Hannahs Unfall und Willow Creek erwähnt? Ihre Erinnerung war so verschwommen. Je mehr sie sich anstrengte, sich an Details zu erinnern, umso schneller schienen ihr die Puzzleteile zu entgleiten. Hatte Shane sie niedergeschlagen? Krampfhaft versuchte sie, das Geschehene Revue passieren zu lassen. Was, wenn sie Shane tatsächlich Hannahs Aufenthaltsort verraten hatte? Dann befand sich Hannah vielleicht in Gefahr! Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, doch aus ihrer Kehle drang nur ein heiserer Laut.
Jane streichelte besänftigend über ihren Arm.
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