Hannahs Entscheidung
auch in der Schulkantine essen, nicht wahr? Na sehen Sie. Später fahre ich Sie heim, und Jackson fährt mit Ihrem Wagen hinterher.«
»Danke schön.« In Deannas Augen funkelten neue Tränen, aber sie lächelte. Sie wandte sich Hannah zu. »Wir zwei machen uns jetzt ans Risotto.«
»Erst der Druckverband«, erinnerte Hannah.
»Ich entdecke völlig neue Seiten an Ihnen«, raunte Sam im Vorbeigehen in Hannahs Ohr.
Geht mir genauso, schoss es ihr durch den Kopf, während sie ihm nachblickte.
*
Er war geduldig gewesen. Hatte auf den perfekten Moment gewartet, um sie abzupassen. Er hatte sie beobachtet, hinter Büschen, Bäumen und Häusermauern auf der Lauer gelegen. Ein paar Mal schon war er ihr so nah gewesen, dass er lediglich die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihr Haar zu berühren. Sie hatte nichts davon geahnt. Leider war stets jemand in ihrer Nähe gewesen, meist diese schwarzhaarige Indianerbraut. Er hätte Hannah gern allein erwischt. Ohne Publikum. Denn er ahnte, sie würde nicht freiwillig mit ihm kommen. Jetzt wollte er jedoch nicht länger warten.
Seine Geduld war am Ende. Er würde sie hier und heute überraschen und mit nach Hause nehmen. Egal, wie viele Menschen dabei zusahen. Egal, ob Hannah wollte oder nicht. Er sah auf seine Armbanduhr. Früher oder später würde sie hier auftauchen, dessen war er sich sicher. Er wusste, dass sie jeden Tag ins Café kam. Während er wartete, nippte er von seinem Kaffee, der ihm von einer spröden Blonden, die sich ihm knapp als Sylvia vorgestellt hatte, serviert worden war. Kühl und abschätzend hatte sie ihn gemustert, bis er sie mit einem anzüglichen Grinsen bedacht hatte. Ihre ohnehin schmalen Lippen verzogen sich zu einem missbilligenden Strich, als sie ihm den Kaffeebecher wortlos unter die Nase schob. Meine Güte, war die ein Besen! Ihr abweisendes Äußeres und die Art, wie gerade sie sich hielt, ließen vermuten, dass sie nicht zum Scherzen aufgelegt war.
Da gefiel ihm diese Indianerin bedeutend besser. Tayanita Taylor. Von Gloria hatte er erfahren, dass sie die Chefin dieses Ladens war. Üblicherweise reizten ihn füllige Frauen nicht, doch diese hier besaß etwas Geheimnisvolles. Er stellte sich vor, wie ihre mit Silberschmuck beringten Hände sanft über seine Hüften glitten. Wie gut, dass Hannah keine Gedanken lesen konnte, dachte er nicht zum ersten Mal. Er bildete sich ein, dass es ihm stets gelungen war, sein Interesse – was rein körperlicher Natur war – an anderen Frauen vor ihr zu verbergen. Hannah verhielt sich in dieser Beziehung recht naiv. Sie war eine treue Seele und ging davon aus, dass Shane ihre moralischen Grundsätze teilte. Es war nicht seine Schuld, dass er als männliches Wesen mit gewissen Bedürfnissen zur Welt gekommen war. Die harmlosen und flüchtigen Abenteuer, die er hin und wieder nach Konzerten mit weiblichen Fans erlebte, bedeuteten ihm nichts. Dabei handelte es sich nur um Sex. Er sah nichts Verwerfliches darin, seinem Verlangen nachzugeben, solange er Hannah damit nicht verletzte. Bis heute ahnte sie nichts von seinen kleinen Eskapaden und so wollte er es auch in Zukunft halten. Ja, diese Indianerin reizte ihn tatsächlich. Wie es sich wohl anfühlte, seine Finger in ihrem schweren Haar zu vergraben? Seine Nase zwischen ihre ausladenden Brüste zu stecken? Er rief sich zur Ordnung. So reizvoll der Gedanke auch sein mochte, er spürte, dass die Cherokee keine Frau für eine flüchtige Bettbegegnung war. Außerdem saß er nicht hier, weil er sich ein Abenteuer erhoffte, sondern weil er seine Frau zurückholen wollte. Ob Hannah die Blumen gefallen hatten? Sicher ahnte sie, von wem sie stammten. In den ersten Monaten ihrer Ehe hatte er ihr oft Schwertlilien mitgebracht, wenn er von einer Tournee heimgekehrt war. Nicht etwa, weil er sein schlechtes Gewissen beruhigen wollte, sondern weil sie diese Blumen so sehr liebte, die sie gern zusammen mit etwas Grünzeug aus dem Garten in einer hübschen Porzellanvase arrangierte. Vielleicht sollte er ihr einfach öfter wieder Blumen schenken?
Lautstarker Tumult im Eingangsbereich erregte seine Aufmerksamkeit. Eine sechsköpfige Familie betrat das Café. Den beiden Erwachsenen gelang es nur mühsam, die lebhafte Rasselbande in Schach zu halten. Es gab wildes Stühlerücken, Geschrei und Gejammer, und es dauerte eine Weile, bis sich die Familie schließlich geeinigt und für einen Tisch entschieden hatte. Wie gut, dass er Hannah bisher hatte vertrösten
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