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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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verschiedenen Vereine.«
    »Im Auftrag der Kirche?«
    »Nein, im Auftrag des Malteserordens.«
    »Dein Vater gehörte dem Malteserorden an?«
    »Er war Ritter, bis zu seiner Laisierung.«
    »Laisierung?«
    »Ja, so wird es genannt, wenn ein Priester von seinem Sakrament zurücktritt.«
    »Ich dachte, dann würde er exkommuniziert und aus der Kirche ausgeschlossen.«
    »Nein, ein Priester kann seine Entscheidung rückgängig machen. Das ist kein leichter Schritt, denn Papa war mit Leib und Seele Priester.«
    »Wieso hat er es dann getan?«
    »Weil er Mama liebte.«
    Sie beobachtete ihn. Innerlich wand er sich unter ihrem Blick. Wie waren sie verflixt noch mal auf dieses Thema zurückgekommen?
    »Mama hat immer gesagt, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er kam in das Zelt, stand vor ihr, die Sonne im Rücken, die schwarzen Haare viel zu lang, und dann fragte er sie nach dem Arzt. Sie hat ihn wohl nur angestarrt. Er ging zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter, weil er besorgt war, dass sie umkippte.« Hanna lachte, starrte erneut auf die gegenüberliegende Wand, schüttelte den Kopf. »Wie sie sagte, hat ein Blick in seine Augen genügt, die so blau wie der Himmel über dem Lager waren, und ihr Herz hat einfach ausgesetzt.«
    Für einen Moment verweilte Hanna in der Vergangenheit, so als betrachtete sie das Geschehen selber. »Er hatte die schönsten blauen Augen, die du dir vorstellen kannst. Wenn er mich damit ansah, verblasste alles andere. Jeder Kummer war vergessen, jeder Schmerz verschwand und egal was ich ausgefressen hatte, ich wusste, dass ich es ihm sagen kann und er mir hilft, es in Ordnung zu bringen.«
    »Du hast die gleichen Augen.« Es kam über seine Lippen, bevor er sich bremsen konnte.
    Wieder lachte sie. »Nein. Du hast seine nie gesehen.«
    »Was geschah dann?«
    »Bei ihm dauerte es länger.«
    »Er musste mehr aufgeben.«
    »Ja. Er hat einen langen inneren Kampf ausgefochten. Onkel Richard hat Mama das nie verziehen.«
    »Waren deine Eltern glücklich in ihrer Ehe?«
    »Ja.«
    »Er hat es ihr nie zum Vorwurf gemacht?«
    »Nein. Er hatte sich entschieden. Vielleicht war er manchmal traurig deshalb, aber er hat es uns niemals spüren lassen. Im Gegenteil –« Sie brach ab und ihre nächsten Worte kamen leise. »Mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein halbes Leben lang die kalte Welt aushalten.«
    Die Worte hallten nach, füllten den Raum, als wären sie zwei nicht mehr allein. Ben sah sich um, doch außer ihnen saß niemand m Wartezimmer.
    »Unser Taufspruch. Papa hat ihn ausgesucht. Manchmal denke ich, er wusste, dass er nicht für immer bei uns sein würde. – Blöd, oder?«
    »Nein. Kurz bevor meine Mutter starb, hat sie mir und Lisa je einen Brief geschrieben, den unser Vater uns an unserem achtzehnten Geburtstag gegeben hat. Das Datum stand auf dem Briefumschlag.«
    Gruselig. Sie beide hatten einen Brief eines Elternteils bei dessen Tod hinterlassen bekommen – und saßen hier zusammen im Krankenhaus.
    »Wie alt wart ihr, als sie starb?«
    »Ich fünfzehn und Lisa dreizehn.«
    Hanna wartete, stellte keine Fragen.
    Er mochte es nicht, darüber zu reden. Verdammt, warum hatte er überhaupt damit angefangen? »Eine Geiselnahme. Mama, Lisa und ich waren dabei.« Er streckte seine Hand aus, zog an der goldenen Kette, die um Hannas Hals hing, bis er das kleine, schlichte Kreuz in seinen Fingern hielt. »Sie trug es immer um ihren Hals. Warum, weiß ich nicht. Sie ging nie viel in die Kirche. – Es waren Muslime. Sie sahen das Kreuz, holten sie heraus und haben sie als Erste mit einem Kopfschuss getötet, um zu zeigen, wie ernst sie es meinten.«
    Hanna legte ihre Hand unter seine und schmiegte ihre Wange an seinen Handrücken. Sie blieb still.
    »Ben und Hanna?«
    Erschrocken zuckten sie zusammen.
    »Entschuldigung, ich wollte nicht stören.« Der Blick der Krankenschwester ging mit wissendem Grinsen zwischen ihnen hin und her. Ben zog hastig seine Hand zurück und fühlte, wie Röte sein Gesicht überzog. Wie albern, dachte er verärgert.
     
    Hanna fasste sich schneller. »Ist alles in Ordnung mit Frau Dr. Jung?«
    »Ja, deshalb bin ich hier. Sie hat einen Jungen zur Welt gebracht. Raum 203.«
    Sie grinsten wie auf Kommando und standen gleichzeitig auf. Es war für Hanna das erste Mal, dass sie ein frisch geborenes Baby sah, rot im Gesicht, schrumpelig und irgendwie zerknautscht, sah es hässlich aus und wunderschön. Wie konnte das sein? Eine Nase, zwei winzig kleine Ohren,

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