Hannas Entscheidung
Seitenstraße ab und hielt vor einem Starbucks. »Komm, ich geb dir einen aus, immerhin bin ich Onkel geworden.«
Es war halb zwei, als sie vor dem Haus einparkten. Ben ließ Hanna großzügigerweise als Erste ins Bad, checkte seine E-Mails und gab seinem Oberst durch, dass sie gegen drei in der Kaserne sein würden.
Als er selbst unter der Dusche stand, nahm er sich Zeit, ließ das heiße Wasser lange über seinen Körper fließen, stellte die Massagedüsen ein. Jede Verhärtung seiner Muskulatur löste sich. Er hatte noch mit niemandem außer Lisa über den Tod seiner Mutter gesprochen – darüber, dass sie ausgewählt worden war, als Erste zu sterben, weil sie ein Kreuz trug. Gott, wie hatte er diese Kette gehasst. Seit sein Vater sie ihm zu seinem ersten Einsatz gab, hatte er sie bei sich getragen, nicht, weil er an einen Schutz durch die Kette glaubte – was ihm schon aufgrund ihrer Geschichte fernlag – oder daran, was sie symbolisierte. Nein, sondern weil sie ihn jedes Mal daran erinnerte, weshalb er tun musste, was er tat. Und dann hatte er sie Hanna geschenkt, einem Impuls folgend, ohne darüber nachzudenken. Als sie die Kette im Auto abnahm, hatte er eine Panik verspürt, die er auch jetzt noch nicht begriff. Er war froh gewesen, als sie wieder um ihren Hals hing. Dort gehörte sie hin und nirgendwo anders.
Er betrachtete sich finster im Spiegel, strich sich über die Bartstoppeln. Etwas in ihm veränderte sich, und es gefiel ihm nicht.
Hanna saß im Schneidersitz auf der Couch, ihren Rucksack vor sich, einen Skizzenblock auf dem Schoß. Ihr T-Shirt hatte am Rücken und an den Schultern dunkle Flecken, wo die feuchten Haare es benetzt hatten. Die Sonne schien ihr auf den Kopf. Konzentriert, aber mit einem Lächeln im Gesicht ließ sie den Stift über das Papier gleiten. Ben lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete sie. Sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie nichts um sich herum wahrnahm. Eine Locke kringelte sich vorwitzig an ihrer Wange. Gedankenverloren strich sie sie weg, legte den Kopf schief und musterte das Blatt Papier. Die Türklingel ließ beide gleichzeitig zusammenzucken. Fragend sah Hanna Ben an. Er zuckte mit den Achseln, spannte seine Muskeln an, ließ seinen Blick zur Balkontür wandern.
»Geh ins Schlafzimmer«, befahl er leise, auch wenn er nicht recht wusste, weshalb er flüsterte. Ausnahmsweise gehorchte Hanna ihm ohne Widerspruch. Er ging zum Türöffner, sah auf das Bild, das die Kamera von der Haustür zeigte, und fluchte. Das hatte ihm noch gefehlt. Er ließ den Türöffner summen und wartete darauf, dass die BKA-Leute den dritten Stock erreichten.
»Hi Sven.«
»Ben. Können wir reinkommen?«
»Um ehrlich zu sein, nein. Ich bin eben auf dem Weg in die Kaserne.« So käme er aus der Nummer nicht raus. Er sah es deutlich an Svens zusammengepressten Lippen und der versteinerten Miene. Er ließ die Tür offen und ging in die Küche. »Kaffee?«
Sven blieb in der Tür stehen. Die anderen beiden Beamtenbezogen vor der Wohnungstür Position. Anders hätte Ben es auch nicht gemacht. Höchstens noch jemanden vor der Feuerleiter platziert, doch wer wusste, ob nicht unten einer stand.
»Wo ist sie?«
»Bitte?« Er drehte sich um, nahm seinen Kaffeebecher und lehnte sich gegen die Theke.
Sven verzog die Lippen zu einem unechten Grinsen. »Verarsch mich nicht.«
»Nicht hier jedenfalls.«
»So? Und doch hat man sie nicht weggehen sehen. Ben, du hast uns selbst angefordert, um das Haus zu überwachen.«
Verdammt, das hatte er tatsächlich verpennt durch die Sache mit der Geburt. Er fluchte innerlich, dass er sich ständig von Hanna ablenken ließ und dadurch Fehler machte.
»Also wo ist sie?«
»Ich bin hier.«
Erschrocken sprang Sven in die Küche, während Ben etwas vom Kaffee über seine Hand verschüttete. Warum konnte diese Frau nie das machen, was er ihr sagte? Sie hatte eine Strickjacke über das T-Shirt gezogen. Gelassen ging sie zur Kaffeemaschine, ließ sich einen Becher ein, setzte sich an den Tisch, einen Fuß auf die Stuhlkante gestellt, und pustete in den Becher, bevor sie vorsichtig einen Schluck trank.
Sven starrte sie an.
»Und?«, fragte Hanna lässig.
»Und?«, erwiderte der BKA-Beamte verwirrt.
»Na ja, wollten Sie nicht etwas von mir?«
Sven atmete tief ein. »Sie kommen mit.«
Langsam schüttelte sie den Kopf, lächelte ihn an. »Nein.«
»Nein?«
»Nein. Ich steige aus dem Zeugenschutzprogramm aus.«
»Das geht
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