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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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Schluchzen, und Hannas T-Shirt wurde feucht von Tränen. Beruhigend streichelte sie ihre Mutter, unsicher über ihre eigenen Gefühle. Das schlechte Gewissen darüber, was sie ihr mit ihrem vorgetäuschten Tod angetan hatte, regte sich. Aber auch Verletztheit kam hoch, weil ihre Mutter noch immer mit dem Mann verheiratet war, der ihr all das angetan hatte. Da existierte der Verrat wegen ihrer Aussage vor Gericht, Zweifel darüber, wie viel von den Presseberichten stimmte, Wut, weil Onkel Richard sie unvorbereitet in diese Situation gebracht hatte. Hanna fühlte sich längst noch nicht so weit, sich ihrer Mutter zu stellen. Was dachte er sich dabei?
    Zaghaft schob Hanna ihre Mutter von sich, die ohne Halt nicht die Kraft fand, weiter zu stehen, und sich setzte. Silvia kramte aus ihrer Handtasche, die an einer Stuhllehne hing, eine Packung Papiertaschentücher hervor, schnäuzte sich, tupfte sich mit einem anderen das Gesicht trocken. Doch die Tränen hörten nicht auf, zu fließen.
    »Es tut mir so leid, es tut mir so leid, Hanna. Oh Gott, was habe ich getan? Kannst du mir das jemals verzeihen?« Silvia verbarg ihr Gesicht hinter den Händen.
    Hanna betrachtete sie. Langsam ließ sie sich auf dem Boden nieder, legte ihre Hände auf ihre gekreuzten Beine. Geduldig wartete sie, worauf, wusste sie selbst nicht.
    Irgendwann verebbte der Tränenfluss.
    Ihre Mutter behielt das letzte Taschentuch in den Händen, knetete es stetig. »Ich bin nicht so stark wie ihr. Als die Polizei kam, um es mir zu sagen, da wusste ich, dass Gabriel tot ist. Ich habe es in der Nacht gespürt, als er von mir gegangen ist und ich hatte eine solche Wut auf ihn, so furchtbare Wut. Ich hatte keine Ahnung, wie ich weiterleben sollte. Und dann tauchte Armin wieder in meinem Leben auf. Er war für mich da und machte mir keinen Vorwurf, weil ich ihn sitzen gelassen hatte. Ich brauche jemanden, der mir Halt gibt – Sicherheit.«
    Hanna biss sich auf die Lippen. Ja, sie erinnerte sich lebhaft an die Zeit, so, als wäre es erst gestern gewesen. Damals hatte sie kochen gelernt. Tagelang hatte sich ihre Mutter nicht aus ihrem Bett herausbewegt. Hanna hatte die Wohnung geputzt, eingekauft, Entschuldigungen für die Schule gefälscht. »Ich war für dich da.«
    »Du warst ein Kind, nicht mal zehn Jahre alt.« Silvia schüttelte den Kopf.
    »Ist er jetzt auch für dich da?« Sie sah, wie bei ihren kalten Worten ein Schauer über den Körper ihrer Mutter lief.
    »Ich konnte nicht glauben, dass du tot bist.«
    »Und da bleibst du bei ihm?«
    »Du hast ihm nie eine Chance gegeben.«
    »Stimmt.«
    »Du warst wütend auf mich, weil ich ihn geheiratet habe. Aber es hatte nichts damit zu tun, dass ich Gabriel weniger geliebt habe – weniger liebe. Ich konnte nicht allein sein. Die ganze Verantwortung tragen für zwei Kinder. Das hätte ich nicht geschafft.«
    »Wir sind für dich da gewesen.«
    »Das ist nicht dasselbe. Du hattest viel zu viel Verantwortung übernommen. Manchmal kam ich mir vor, als wäre ich das Kind und nicht du.«
    Nicht das Kind, dachte Hanna, aber jemand, der Angst davor hatte, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Damals wie heute. Nur konnte sie diesmal die Angst verstehen, und das ärgerte sie, denn sie wollte dieses Verständnis nicht haben.
    »Er wollte dir nicht wehtun. Er hat einen großen Fehler begangen und bereut es. Hanna, es tut ihm furchtbar leid. Du hättest sehen müssen, was für Vorwürfe er sich gemacht hat. Noch nicht mal zu deiner Beerdigung durfte er kommen. Die Polizei hat es nicht zugelassen.«
    Hanna zog scharf die Luft ein. Sie versuchte den Menschen, der dort vor ihr saß, der sie geboren hatte, zu verstehen.
    »Oh Gott, Hanna, es tut mir leid. Das hört sich bestimmt alles völlig verkehrt in deinen Ohren an.«
    »Ja.«
    Sie sah Hanna zum ersten Mal in die Augen. Ruhig erwiderte Hanna ihren Blick.
    »Du warst schon immer direkt, hast nie Kompromisse zugelassen.«
    »Das nennt man Ehrlichkeit, Mama.«
    »Es gibt manchmal mehr als eine Wahrheit.«
    »Ich weiß.«
    »Was soll ich machen?« Silvia hob hilflos die Schultern. »Was möchtest du, dass ich tue? Soll ich mich von ihm trennen?«
    »Weißt du, was mein Fehler war?«
    Stumm schüttelte ihre Mutter den Kopf.
    »Dass ich dachte, ich könnte für dich die Entscheidungen treffen, dir die Verantwortung abnehmen. Aber weißt du was, Mama? Jeder muss seine eigenen Entscheidungen im Leben treffen. Ich kann nicht dein Leben für dich leben. Das habe ich viel zu

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