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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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plauderte Hanna kurz auf Französisch. Nach einer halben Stunde hatte sie so viel gelächelt und gesprochen, dass ihr Kopf anfing zu schmerzen. Ihre Wangen taten ihr weh, und sie wunderte sich, dass ihre Gesprächspartner noch immer darauf reagierten. Merkten sie nicht, dass sie am liebsten die Flucht ergriffen hätte? Ein schneller Blick auf die Uhr zeigte Hanna, dass keine fünf Minuten später das Essen beginnen würde. Nach dem Hauptgang begannen die Vorträge, drei an der Zahl, und im Anschluss daran sollte der Nachtisch folgen. Hanna atmete tief ein und bedauerte die Reihenfolge. Von Appetit konnte bei ihr im Moment keine Rede sein. Mr Graham geleitete sie zu ihrem Tisch, und da nun alle Platz nehmen wollten, entstand im Saal ein heilloses Gewusel von Menschen, bis endlich Ruhe einkehrte.
     
    Ben hatte den Atem angehalten, als er Marie am Eingang zum Saal entdeckte. Sie stand völlig verloren da und schien für einen Moment die Flucht ergreifen zu wollen. Obwohl sie ein äußerst schlichtes, wenngleich elegantes Outfit gewählt hatte, fand er, dass sie allein wegen ihrer Größe zwischen den anderen Frauen hervorstach. Nachdem der Gastgeber der Veranstaltung sie entdeckt hatte, befand sich Marie ganz in ihrem Element. In der ihr eigenen Art strahlte sie die Menschen an und zog sie in ihren Bann. Vor allem der brasilianische Gesundheitsminister machte einen völlig entzückten Eindruck. Aber auch die Augen anderer Männer streiften die Frau in den hochhackigen Schuhen, den langen Beinen, dem eng anliegenden Kleid, das ihren knackigen Hintern betonte. Er erinnerte sich, mal einen Film mit Lisa geschaut zu haben, bei dem eine Protagonistin den Spruch von Coco Chanel zitierte: Kleide dich nachlässig, und man erinnert sich an das Kleid – kleide dich makellos, und man erinnert sich an die Frau. Marie Ziegler beherrschte diesen Trick perfekt. Es gab ihr etwas Unnahbares und Elegantes. Wieder einmal wunderte Ben sich, wie jemand die Zwillinge jemals verwechseln konnte. Abgesehen von dem unterschiedlichen Auftreten und der Kleidung war Hanna ein Mensch, der im Stillen und von innen heraus leuchtete. Marie hingegen aalte sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit, liebte es, mit Männern zu flirten, wie sie es soeben mit dem Minister der Zentralafrikanischen Republik tat.
    »Das also war der Grund, weshalb du unbedingt auf die Veranstaltung der WHO mitkommen wolltest.« Der Blick von Eric Wahlstrom war Bens gefolgt. »Hm, eine überaus attraktive Frau, dazu reich und einflussreich, sozial engagiert und – wie ich fürchte – zu intelligent, um auf deinen spröden Charme hereinzufallen. Wusstest du, dass sie zu den mächtigsten Managerinnen Deutschlands zählt?«
    »Nein.« Ben fühlte, wie ihn sein Vater aufmerksam von der Seite musterte, und zupfte nervös an seiner Schleife. Er erinnerte sich nicht mehr, wann er das letzte Mal einen Smoking getragen hatte, aber Eric hatte sich in diesem Punkt auf keine Diskussion eingelassen. Er konnte knallhart sein, wenn es darauf ankam.
    »Nun, dann wird es ja entgegen meiner bisherigen Befürchtung ein spannender und interessanter Abend werden. Champagner?«
    Ben rümpfte die Nase. »Nein danke.«
    »Möchtest du vor ihr am Tisch sein oder ihr entgegengehen?«
    »Ich denke, sie muss noch genügend Gäste begrüßen. Wir warten am Tisch auf sie.«
    Bens Vater hatte seinem alten Freund Graham nicht einmal den Vorschlag zu machen brauchen, Marie Ziegler an seinen Tisch zu setzen. Graham war selbst auf die Idee gekommen, dass sie es als angenehm empfinden würde, neben jemandem zu sitzen, der ihre Sprache beherrschte.
    Sie gingen langsam zu ihrem Platz hinüber. Auf die Minute pünktlich erschien Graham mit seinem Gast am Tisch, an dem sich außer ihnen der norwegische und der deutsche Botschafter mit ihren Frauen befanden. Außerdem hatten der Europäische Abgeordnete für Gesundheit und Umwelt und der Vorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes mit seiner Frau ihre Plätze am selben Tisch gefunden. Nur Marie Ziegler fehlte noch.
    Marie wandte Ben und seinem Vater zuerst den Rücken zu, während sie die Damen und Herren auf Englisch grüßte, aus Höflichkeit gegenüber ihrem Gastgeber. Zuletzt drehte sie sich um und erstarrte im selben Moment.
    Ben sah den Schock in ihren Augen, merkte aber mit Anerkennung, dass sie sich erstaunlich schnell fasste.
    »Ben! Was für eine Überraschung.«
    »Marie, darf ich dir meinen Vater Erik Wahlstrom vorstellen?« Auch er hatte unbewusst deutsch

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