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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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sie doch den Grad auf der Skala für die Möglichkeit, dass Hanna untergetaucht und nicht entführt oder getötet worden war. Er überlegte, was er mit dem restlichen Tag bis zu seiner Verabredung mit Sonja Weidmann und ihrem Freund Marco König veranstalten könnte.
     
    Er betrat den Petersdom durch das Hauptportal. Aus der Hitze tauchte er in die Kühle und erstaunliche Stille der Kirche ein, deren Luft von Weihrauch geschwängert war. Die geführten Touristengruppen unterhielten sich flüsternd. Das Geräusch verflüchtigte sich im großen Innenraum des Doms. Langsam wanderte er herum. Er betrachtete die Wandmalereien, Mosaikböden, geschnitzten Altäre und die Kuppel. Sein Weg führte ihn hinunter in die Tiefe der Katakomben und hinauf in die Spitze des Doms. Hier paarten sich Geschichte, Kunst, Glaube und Macht in einer beeindruckenden Mixtur. Während er wieder durch den ebenerdigen Teil schlenderte, fiel sein Blick auf die marmorne Figur einer Madonna hinter einer gläsernen Wand, die ihren toten Sohn im Schoß hielt. Er fühlte sich magisch angezogen, erinnerte sich, diese Pieta in Hannas Notizbuch gesehen zu haben. Die Skizze war unbedeutend im Vergleich zu der in Marmor verewigten Figur. Allein die Falten in dem Gewand, der Ausdruck des Gesichts, die Schatten – sie wirkte vollkommen lebendig. Er sah die feine Nase, den trauernden Zug um ihren Mund, und wie das Tuch, das um ihren Kopf lag, den schlanken Hals sichtbar ließ. Wie konnte das Gewand aus Marmor so filigran aussehen, dass es lebendig wirkte? Sie sah so unglaublich jung aus. Ihr Sohn in ihrem Schoß wirkte so klein mit seinem mageren, zerschundenen Körper. In Berlin hatte Ben die Passionsgeschichte nachgelesen. Maria, die Mutter Jesu, die mit dem jüngsten Apostel Johannes unter dem Kreuz gestanden hatte. Maria – Marie, Johannes – Johanna. Auf seinem Arm bildete sich Gänsehaut. Sein Handy vibrierte und riss ihn aus seiner Betrachtung. Erstaunt sah er auf die Erinnerung, von der die Vibration ausgelöst worden war. Treffen mit SW im Hotel in zwei Stunden. Seit er den Petersdom betreten hatte, waren vier Stunden vergangen.
     
    Er wartete auf die beiden Studenten in der Hotellobby. Inzwischen kannte er deren Lebenslauf, wusste, was sie studierten und dass Professor Bartoli Marcos Doktorvater war. Sonja vergnügte sich viel im Internet, was ihm eine Fülle an Informationen und Fotos lieferte. Das zeigte ihm, dass er sie richtig eingeschätzt hatte. Ihre Spezialität war es, Jungs zu erobern, weshalb sie ihre Freundinnen, von denen es zahlreiche gab, mit kostenlosen Tipps rund um das männliche Geschlecht versorgte. Sie schien sich als eine Art Beziehungsexpertin zu sehen, und auf YouTube fand er einige Gesangsvideos von ihr. Eine ausdrucksstarke, einprägsame, sinnliche Stimme, und die Performance strahlte Sex-Appeal aus. Eigentlich schade, dass sie ihren Freund mitbrachte.
    Sonja hatte die Bermudas durch einen blumigen Minirock aus einem weichen, fließenden Stoff ersetzt. Oben trug sie eine kurzärmelige, durchsichtige blaue Bluse und einen spitzenbesetzten dunkelblauen BH. Ben brauchte nicht viel Fantasie, um sich unter dem Rock einen ebenfalls spitzenbesetzten Stringtanga vorzustellen. Marco trug kakifarbene Bermudas und hatte ein dunkelblaues T-Shirt an. Sein Arm umschlang Sonjas Taille besitzergreifend, was die anwesenden Männer in der Lobby nicht daran hinderte, seiner blonden, zierlichen Begleiterin, die durch die Stilettos sechs Zentimeter größer erschien, anzügliche Blicke zuzuwerfen.
    Ben erhob sich und ging auf die beiden zu. Sonjas Lippen leuchteten in Signalrot, schwarzer Eyeliner und Wimperntusche betonten den ovalen Schnitt ihrer grünen Augen. Lidschatten in verschiedenen Grautönen und ein heller Punkt im Inneren als Eyecatcher lenkten unweigerlich seinen Blick auf ihre Augen. Hannas unvergleichlich blaue Augen schoben sich in seine Erinnerung, die ihn ihrerseits in Afrika auf Anhieb gefangen genommen hatten, ganz ohne schminktechnische Unterstützung, nur durch ihre Farbe und den tiefen Ausdruck von Verletzbarkeit. Er wandte sich an Marco. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie gern mit hoch in mein Zimmer nehmen, dort können wir ungestörter reden.« Er ließ seinen Blick durch die Hotellobby streifen. Seine Verfolger hatte er bewusst nicht abgeschüttelt. Mit Interesse stellte er inzwischen den vierten Mann im Einsatz fest, der ihn beobachtete. Wer immer dahintersteckte, schien ein Arsenal an gut

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