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Hannas Entscheidung

Hannas Entscheidung

Titel: Hannas Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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schlafen konnte, konnte er auch genauso gut arbeiten. Er dachte nach, was er in den letzten Tagen erlebt und was er gehört hatte. Seine eigene Schwester vertraute ihm nicht mehr, stellte sich schützend vor Hanna. Hartmann beschützte sie auf seine Art genauso, obwohl er ihn damals auf sie gehetzt hatte. Der Kardinal und ihr Vater? Gott?
    Entnervt vergrub er den Kopf in den Händen. Das kam davon, wenn man zu viel Schmerzmittel nahm und zu wenig schlief. Das Problem bestand darin, dass er sie viel zu nahe an sich herangelassen hatte. Er hatte seine Objektivität verloren, sah alles nur noch durch einen Filter, und das machte ihn beinflussbar, bremste sein logisches Denken und seine Fähigkeiten. Vertrauen. Verflucht, er war nach Rom gegangen, um herauszufinden, was sie vor ihm verheimlichte, und statt es aus ihr im Zweifelsfall herauszuprügeln, hatte er ihr gesagt, dass er ihrer Entscheidung, ihrem Urteil vertraute. Was für ein Idiot er war. Sein Impuls, sie zu suchen, sie als die Ursache zu sehen, weshalb zwei seiner Männer bei einem Einsatz hatten sterben müssen, war genau richtig gewesen. Er spürte es tief im Innern. Die FoEI verlor an Boden, war unter Druck geraten, wollte etwas, und er hatte keinen blassen Schimmer, was. Grimmig tippte er sein Passwort ein, verband sich mit der internen Datenbank und wählte das File von Nigeria aus. Hier musste er ansetzen, noch mal von vorn mit allem anfangen und vergessen, dass Hanna Hanna war.
    Um fünf Uhr morgens kehrte er zum dritten Mal zu dem Afrika-File zurück. Er war jetzt alles durchgegangen, was sie an Informationen über Afrika gesammelt hatten: die Entführung, den versuchten Mord und die Überwachung der Familie Ziegler/Benner. Er las die Befunde der Kinderleichen und stockte – fing noch mal an – rief die Unterlagen über das Dorfprojekt auf. Nein, hier stand es schwarz auf weiß: Förderung von HIV-positiven Familien mit Schwerpunkt auf HIV-positiven Kindern ohne lebende Verwandte. Ben blätterte zurück. Dr. Rukia Mutai, HIV-positiv. Die Werte verstand er sowieso nicht. Gakuru Samura, HIV-positiv. So ging die Liste weiter und dann zurück zu den Leichen der zehn Kinder, die laut den Bildern von Hanna in dem Haus mit Dr. Rukia Mutai lebten. Moswen, der Junge, mit dem Hanna Fotos gemacht hatte – HIV-negativ, Dupe – HIV-negativ, Afya – HIV negativ, Tabita, Maalik, Saburi, Tutu, Rabuwa, Ezeoha und Haiba – alle HIV-negativ.
    Mit einem leisen Stöhnen lehnte er sich zurück, rieb sich die Augen. Konnte es tatsächlich die komplette Zeit über so offen vor ihnen gelegen haben? Er sprang auf, lief in der Küche umher. Ein Heilmittel gegen HIV – konnte es so etwas überhaupt geben? Bestand nicht das Problem bei dem Virus darin, dass er sich in den Zellen einnistete und sie dazu brachte, ihn zu reproduzieren? Er brauchte Gewissheit, eine fachliche Meinung, ob es sein konnte oder ob er anfing, zu spinnen und nach jeder Möglichkeit griff, die sich seinem müden Gehirn bot.
    Er schlich die Treppe runter, blieb vor der Wohnungstür stehen. Was machte er hier? Es war noch nicht mal sechs Uhr. Er lauschte, hörte ein leises Tapsen von nackten Füßen, hob die Hand und klopfte. Lisa öffnete ihm die Tür, aber statt ihn reinzulassen, versperrte sie den Weg und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Was willst du? Es ist mitten in der Nacht!«
    »Es ist fast sechs Uhr morgens.« Er seufzte. »Es tut mir leid. Ich brauche deine Hilfe.«
    »Wofür?«
    »Keine Sorge, nur deine fachliche Hilfe.«
    Als sie weiterhin keine Anstalten machte, ihn reinzulassen, gab er auf. Er hatte keine Lust, sich mit ihr zu streiten, dafür jagte seine Erkenntnis viel zu viel Adrenalin durch seinen Körper. »Kannst du dir vorstellen, dass jemand ein Heilmittel gegen HIV entwickelt?«
    »Spinnst du? Bist du jetzt völlig übergeschnappt oder was?«
    Enttäuschung fing an, sich in ihm breitzumachen, dennoch wollte er noch nicht aufgeben. »Nein. Das afrikanische Dorf war ein Projekt für Familien mit HIV-positiven Angehörigen und – das ist jetzt wichtig – HIV-positiven Kindern ohne lebende Verwandte.«
    »Das dauert länger. Komm rein, ich muss was trinken«, unterbrach Lisa ihn.
    Gemeinsam gingen sie in die Küche und sie stellte auch ihm ein Glas mit Johannisbeerschorle vor die Nase, bevor sie sich mit einer Packung Prinzenrolle zu ihm setzte.
    »Wäre Obst, Joghurt oder Müsli nicht gesünder?«
    »Danach ist mir aber nicht. Mir ist nach Schokokeksen und jetzt fahr

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